Pax Christi über den Beginn des Afghanistan-Krieges vor zehn Jahren

"Jetzt drehen wir weiter an der Gewaltspirale"

Von Beginn an hat die katholische Friedensinitiative Pax Christi die Intervention des Westens in Afghanistan kritisiert. Warum, erklärt im Interview mit domradio.de Johannes Schnettler, Vizepräsident der deutschen Sektion.

 (DR)

domradio.de: Wie erinnern Sie sich an den Beginn der Bombardierung Afghanistans?

Schnettler: Selber stand ich damals noch unter dem Schock des 11. Septembers. Zehn Jahre danach ist das ja ein historisches Datum, doch damals war man doch noch sehr schockiert von der Gewalt. Meine Reaktion auf die Angriffe der USA und Großbritanniens war: Jetzt drehen wir weiter an der Gewaltspirale und tun das, was wir als Christen nicht tun sollten. Stattdessen sollten wir zunächst mal hören, was diese Menschen antreibt, uns mit solchen Mitteln zu hassen. Als Hauptgrund für den Krieg wurde ja die Jagd nach Osama bin Laden genannt - was mich schon damals erstaunt hat: Warum führt man einen ganzen Krieg, wenn Polizei und Geheimdiensten doch ganz andere Mittel zur Verfügung stehen.



domradio.de: Haben sich Ihre Befürchtungen bewahrheitet?

Schnettler: Ja. Auch wenn später als neues Element in die Bewertung der Anspruch auf eine Demokratisierung der afghanischen Gesellschaft hinzukam: Frauen durften ohne Schleier durch die Welt gehen und selbstbestimmt übe ihre religiöse Praxis bestimmen, das wurde als ein Meilenstein gefeiert. Was aber nicht sichtbar wurde: Es war nur ein vordergründiger Erfolg, weil das eigentliche Problem - die Rivalitäten im Land, die Stammesfehden, die Korruption - keine wirkliche Beendigung gefunden haben. Außerdem war all dies wieder nur Folge einer Einmischung von außen, genau wie 30 Jahre zuvor schon. Mit dem Sturz des Taliban-Regimes wurde auch deutlich, dass die Gewalt im Land so nicht gelöst werden kann.



domradio.de: Und auch Hamid Karzai wurde nicht zur erhofften Lichtgestalt….

Schnettler: Es hat sich gezeigt, dass Karzai selber in die korrupten Strukturen seines Landes verstrickt ist. Er gehört heute zu einem der größten Unsicherheitsfaktoren im Lande. Was im Rückblick besonders verhängnisvoll ist, dass die Zeichen, die früh erkennbar waren, nicht erkannt wurden. Immer wieder wurde auf die militärische Karte gesetzt, auch mit den ständigen Beschlüssen im deutschen Bundestag.



domradio.de: Der neue Militärbischof Overbeck war gerade in Afghanistan, er selber hat sich gegen einen "Radikalpazifismus" und einen vorschnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, so wie Sie ihn schon häufig gefordert haben, ausgesprochen. Wie weit liegen Ihre und die Position der Bischöfe auseinander?

Schnettler: Wir haben hier den klassischen Konflikt, der sich aus der Friedensethik des Evangeliums ergibt: Liebe Deine Feinde und liebe Deinen Nächsten. Die Deutsche Bischofskonferenz  stellt die Sorge für die Menschen in Afghanistan in Vordergrund, sie will den Zivilpersonen stabile Strukturen ermöglichen. Hier sind wir uns einig, nur sagen wir: Der Weg dahin ist nicht mit Mitteln der Gewalt zu erreichen. Wir setzen auf den Dialog, auch mit den Taliban.



domradio.de: Nun kommt der Abzug der westlichen Truppen bis 2014. Früh genug?

Schnettler: Entscheidend ist, dass wir abziehen. Eine große Sorge ist ja, dass danach großes Chaos im Land herrscht. Aber wenn wir sehen, welch große Summen in den Krieg investiert wurden, reicht ein Bruchteil, um stabile Strukturen im Land zu schaffen, um den Menschen eine Perspektive zu schaffen. Es muss unsere Aufgabe zu sein, genau das den Menschen zu ermöglichen.



Das Gespräch führte Michael Borgers.