Eine Analyse der türkischen Nahost-Politik

Säbelrasseln hilft nicht

Recep Tayyip Erdogan besucht Ägypten, wo am Wochenende Demonstranten die israelische Botschaft stürmten. "Die Türkei möchte in der Region eine stärkere Rolle spielen", sagt Rana Islam. Im domradio.de-Interview analysiert der Politikwissenschaftler die Strategie des Ministerpräsidenten im Nahen Osten.

 (DR)

domradio.de: In Ägypten hat der bisherige Staatschef Hosni Mubarak die Beziehungen zu Israel stabilisiert. Jetzt ist Mubarak entthront. Ist damit ein außenpolitisches Macht-Vakuum im Nahen Osten entstanden, das der türkische Ministerpräsident jetzt ausfüllen will?

Islam: Die Türkei möchte in der Region eine stärkere Rolle spielen. Ich würde das Ganze nicht nur auf das Wegputschen von Hosni Mubarak zurückführen, sondern auch auf die Invasion in den Irak. Die USA hatten sich dort die Finger verbrannt. Und damit auch ein regionalpolitisches Vakuum hinterlassen, in das die Türkei schon seit geraumer Zeit hineinstoßen möchte.



domradio.de: Das populistische Getöse aus Istanbul gipfelte Anfang September darin, dass der israelische Botschafter des Landes verwiesen wurde. Es scheint als hätte sich Erdogans Haltung zu Israel radikalisiert - stimmt das?

Islam: Das kann man so teilen. Man muss aber auch differenzieren: Erdogan hat sich radikalisiert, das merkt man auch daran, dass die ganzen Skandale im türkisch-israelischen Verhältnis in den vergangenen Jahren vor allem von ihm betrieben wurden. Es gibt aber in der türkischen Regierung auch andere Stimmen: ein Außenminister Davutoglu, ein Präsident Gül - die sich in ihrer Haltung zu Israel wesentlich moderater geben als Erdogan.



domradio.de: Erdogan ist jetzt einige Tage in den Staaten des so genannten "arabischen Frühlings" unterwegs. Spekuliert wird auch über einen Blitz-Besuch im Gaza-Streifen. Worum geht es dem türkischen Ministerpräsidenten jetzt - allein darum, Israel vorzuführen?

Islam: Das sicherlich auch. Aber vor allen Dingen möchte Erdogan die Stimme der arabischen Straße gewinnen. Man konnte in den vergangenen Jahren auch ein Ansehensgewinn der Türkei in den Ländern des Nahen Ostens beobachten. Und darauf spekuliert er jetzt auch wieder. Auf diese Art und Weise kann kein nachhaltiger Frieden zwischen Israel und den Palästinensern und den anderen arabischen Nachbarn erreicht werden, das geht nur mit Israel und nicht mit Säbelrassen.



domradio.de: Wie sind die jüngsten Eskalationen mit der Türkei und Ägypten auch zu lesen vor dem Hintergrund, dass die Palästinenser in wenigen Tagen einen eigenen unabhängigen Staat Palästina vor der UNO-Vollversammlung beantragen?

Islam: Das bildet auch sicherlich einen Kontext. Die Türkei hat hier schon frühzeitig klar gemacht, dass sie das Ansinnen der Palästinenser unterstreicht, einen Antrag bei den Vereinten Nationen auf Voll-Mitgliedschaft einzureichen. Aber auf die Gretchenfrage, was denn mit den israelisch-palästinensischen Beziehungen nach so einem Tag X geschehen soll, bleibt die Türkei auch eine Antwort schuldig. Das bezieht sich vor allen Dingen auf die Jerusalemfrage, auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge. Säbelrassen hilft auch hier nicht. Die Türkei unter Erdogan hat bisher auch wenige Anstalten unternommen, die Verhandlungspartner Israel und die Palästinenser an einen Tisch zu bringen.



Das Gespräch führte Stephanie Gebert - hören Sie es hier in voller Länge nach.