Moraltheologe Schockenhoff zur Diskussion um die zivile Zweitehe

Das moralische Verdikt aufheben?

Wenn Katholiken sich scheiden lassen und eine erneute zivile Ehe eingehen, sind sie zu Lebzeiten des ersten Partners von den Sakramenten ausgeschlossen. Erzbischof Robert Zollitsch hat hier nun Reformen angeregt, dies sei eine Frage der Barmherzigkeit. Unterstützung bekommt er von dem Moraltheologen Prof. Eberhard Schockenhoff.

 (DR)

domradio.de: Guten Tag nach Freiburg, Prof. Schockenhoff! Die Unauflösbarkeit der Ehe ist aus katholischer Sicht ein hohes Gut - wie stehen Sie zu dem Vorstoß von Erzbischof Zollitsch?

Eberhard Schockenhoff: Erzbischof Zollitsch hat in keiner Weise die Unauflösbarkeit der Ehe in Frage gestellt. Das steht auch überhaupt nicht zur Disposition, das ist in der katholischen Kirche selbstverständlicher Bestandteil ihres Glaubens. Was Erzbischof Zollitsch angemahnt hat, ist ein barmherziger Umgang mit denjenigen Christen, die in ihrer ersten Ehe gescheitert sind, vielleicht auch schuldlos verlassen wurden, und die nun aus Gründen, die sie in ihrem Gewissen, in der Deutung ihrer Lebenserfahrung verantworten können, ein zweites Mal geheiratet haben, vielleicht auch um Verantwortung für den Partner und Kinder, die in dieser zweiten Ehe leben, zu übernehmen. Diese Christen sind bislang von der Kommunion ausgeschlossen und übrigens auch mit anderen Kirchenstrafen belegt, z.B. dürfen sie kein kirchliches Amt übernehmen, im Kirchengemeinderat oder als Lektorin oder Lektor; bei einem kirchlichen Dienstherrn müssen sie unter Umständen sogar die Kündigung befürchten. Da lautet der Vorstoß nun, dass diese kirchenrechtlichen Disziplinarmaßnahmen, die die Kirche bisher für unabdingbar hält, überprüft werden und dass man einen anderen Weg geht, der barmherziger ist und der auch mehr dem Wesen der Eucharistiefeier entspricht, die ja nicht nur eine Anerkennung für tadelloses Verhalten darstellt, auch nicht nur die Dankesfeier der Erlösten ist, sondern gleichzeitig auch selbst sündenvergebende Kraft hat: der ausgestreckte Arm der Liebe Gottes, den er auch den Sündern hinhält, so dass auch die wiederverheirateten Geschiedenen an der Eucharistiefeier teilnehmen könnten. Dadurch würde deutlich, dass die Kirche auch Versöhnungsgemeinschaft ist.



domradio.de: Wie könnte denn ganz konkret dieser barmherzigere Weg aussehen? Es gibt ja zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Ehe annulliert wird, als nicht dagewesen betrachtet wird. Dieses Verfahren ist jedoch sehr kompliziert und zeitaufwändig. Wie könnte man das Prozedere verkürzen?

Schockenhoff: Also diesen Weg gibt es natürlich, und wo er möglich ist, sollte man ihn auch beschreiten, weil dann eben der Weg offen ist für eine zweite kirchliche Eheschließung. Aber in vielen Fällen ist das tatsächlich nicht möglich. Und auch dort, wo eine erste Ehe Bestand hatte und gültig war, aber dann gescheitert ist und getrennt wurde und nun die Partner in einer neuen Verbindung miteinander leben, gibt es die Möglichkeit, dass sie zu den Sakramenten, vor allem zur Eucharistiefeier und zur Kommunion zugelassen werden. Das könnte die Kirche einmal dadurch tun, dass sie die Gewissensentscheidung der Betreffenden anerkennt und das moralische Verdikt, das über einer zivilen Zweitehe liegt, aufhebt. Wie gesagt, das kann ein verantwortlicher Weg sein, man kann von außen nicht jede Entscheidung für eine zivile Zweitehe als objektiv schwere Sünde qualifizieren. Man kann das Leben in einer zivilen Zweitehe auch nicht als fortgesetzten Ehebruch darstellen, wie das die kirchenamtliche Lösung tut, sondern es ist durchaus möglich, dass die einzelnen, auch wenn sie Schuldanteile beim Zerbrechen der ersten Ehe zu bereuen haben, das wiedergutmachen. Damit sie nun in der zweiten Ehe das leben können, was eigentlich von den menschlichen Werten her, auch nach katholischem Verständnis, einer Ehe entspricht, also Treue, Entschiedenheit für einander, das gegenseitige für einander Einstehen, Verantwortung für die Kinder. Und das ist nicht Ausdruck von Verantwortungslosigkeit oder von Verharren in offensichtlicher öffentlicher Sünde, sondern das kann ein durchaus ein verantwortlicher Lebensweg sein. Das sollte die Kirche aus Respekt vor der Lebenserfahrung ihrer Gläubigen und ihrem eigenen Gewissensurteil anerkennen. Und diese Anerkennung könnte sie dadurch zum Ausdruck bringen, zum Beispiel in einer Segensfeier für in einer zivilen Zweitehe lebende Christen oder in einem Akt der Wiederaufnahme in die Kommunionsgemeinschaft, da gäbe es verschiedene Möglichkeiten. Mit seinem Vorstoß möchte Erzbischof Zollitsch die Debatte innerhalb der deutschen Diözesen darüber eröffnen. Das ist sicher auch im Zusammenhang mit dem Dialogprozess zu sehen.



domradio.de: In Ihrem Buch legen Sie ja auch dar, wie Ihrer Meinung nach die bisherige Regelung auf Fehlentwicklungen des Glaubensverständnisses und der kirchlichen Praxis fußt. Welche Fehler hat die Kirche Ihrer Meinung nach in der Vergangenheit gemacht, um ein so strenges Verständnis zu entwickeln?--
Schockenhoff: Jahrhunderte lang galt in der Kirche ein Eheverständnis, das vertragsrechtlicher Natur war: Man sah in der Ehe nicht so sehr einen personalen Bund der Liebe, sondern einen Vertrag und dessen Gegenstand war vor allem die Übertragung des Rechts auf den Körper des anderen, auf die Geschlechtseigenschaften des anderen, und das wiederum vorrangig zum Zwecke der Erzeugung von Nachkommenschaft. Und dieses Vertragsmodell der Ehe hat das Zweite Vatikanische Konzil überwunden, indem es sagt: Die Ehe ist ein Bund, ein personaler Bund, in dessen Mittelpunkt die eheliche Liebe steht, das sich Schenken, das sich gegenseitige Übereignen der Ehepartner. Aber das Konzil hat noch nicht die kirchenrechtlichen Konsequenzen aus diesem gewandelten Eheverständnis beschlossen, Dass wiederverheiratete Geschiedene, wenn sie eine zivile Zweitehe eingehen, automatisch in einem Zustand fortgesetzter Sünde und des öffentlichen Ehebruchs stehen. Das ist eigentlich nur unter der Voraussetzung dieses früheren vertragsrechtlichen Ehemodells konsequent. Das ist eine Fehlentwicklung, die die Theologie der Ehe eigentlich schon beseitigt hat; jetzt ginge es nur darum, aus diesem Neuansatz des Konzils auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Eine weitere Fehlentwicklung liegt auch im Sakramentenverständnis, denn jedes Sakrament, gerade auch die Eucharistiefeier, ist ja auch eine Einladung Gottes an den sündigen Menschen, die ausgestreckte Hand der Barmherzigkeit zu ergreifen, damit sie wieder in die Gemeinschaft mit Christus und auch in die Gemeinschaft seines Leibes, der Kirche, zurückgeholt werden. Aber gerade das ist für wiederverheiratete Geschiedene nicht erfahrbar. Für sie wird das Sakrament eher zu einem Damoklesschwert, das über ihnen schwebt und das sie dauerhaft, zumindest zu Lebzeiten des ersten Partners, vom engeren Kreis der kirchlichen Gemeinschaft ausschließt. Das sind Fehlentwicklungen, die der Korrektur bedürfen.



domradio.de: Sollte die Kirche jetzt ihre Position behutsam verändern, wie könnte das konkret gelingen? Müsste dazu der Papst eine Art Erlass formulieren?--
Schockenhoff: Es muss in der katholischen Kirche nicht alles sofort auf weltkirchlicher Ebene einheitlich geregelt werden. In die Theologie der Ehe muss natürlich die Unauflöslichkeit der Ehe, die Forderung nach Einhaltung der ehelichen Treue, die Monogamie, die Ausrichtung auf Kinder als Grundaussagen auf weltkirchlicher Ebene gemeinsam bekannt werden, das gehört zum katholischen Glaubensverständnis. Aber die seelsorgerische Praxis im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen kann auch von Land zu Land verschiedenen geregelt werden. Da könnte auch eine Ortskirche einen Vorstoß wagen, der dann von der Weltkirche zunächst einmal entgegengenommen wird oder auch positiv angenommen wird. Also das müsste nicht immer ein Akt des Papst von oben sein, sondern da könnten auch die deutschen Diözesen untereinander, vielleicht als Ergebnis des Dialogprozesses, zu einer Neuregelung kommen, die sie natürlich in enger Absprache mit Rom und dem Papst dann auch umsetzen würden. Solche Wege sind durchaus denkbar, wir hatten ja schon vor 20 Jahren den gemeinsamen Hirtenbrief der oberrheinischen Bischöfe; in der Verlängerung dieser Vorschläge könnte man sich hier durchaus eine neue Lösung vorstellen.

Das Interview führte Mathias Peter.



Buchhinweis

Schockenhoff, Eberhard: Chancen zur Versöhnung? Die Kirche und die wiederverheirateten Geschiedenen

Verlag Herder --
Aufl./Jahr: 1. Aufl. 2011

Format: 13,5 x 21,5 cm, 200 Seiten, Kartoniert

ISBN 978-3-451-34117-5

€ 18,95