Hilfsdienst kritisiert EU-Flüchtlingspolitik im Eindruck des Afrika-Dramas

"Und wir streiten über ein paar Tausend..."

Das Flüchtlingsdrama vor Europas Küsten geht weiter: Auf einem überfüllten Kutter entdeckte die italienische Küstenwache Anfang der Woche die Leichen von 25 Flüchtlingen. Ein domradio.de-Interview mit Pater Martin Stark, dem Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Berlin.

 (DR)

domradio.de: Was kann man denn Europa vorwerfen, wenn es immer wieder zu solchen Tragödien kommt?

Stark: Gerade momentan, wo sich im Osten Afrikas ein großes Flüchtlingsdrama abspielt, wo Hunderttausende wirklich auf der Flucht sind, wo die ärmsten Länder der Armen diese Flüchtlinge aufnehmen, streiten wir uns über ein paar tausend Flüchtlinge. Das werfe ich Europa vor, dass es diese Dimensionen übereinbringt. Wir wären in der Lage, etwas zu tun. Wir sind reiche Länder und können diese paar tausend Menschen aufnehmen. Andere Länder nehmen Hunderttausende auf - und haben eigentlich überhaupt keine Möglichkeiten.



domradio.de: Ist es überhaupt möglich, solche Flüchtlingsboote aufzuhalten, die ja meistens völlig unsicher und überfüllt sind?

Stark: Das ist die generelle Strategie der Abschottung - die eigentlich nicht aufgeht. Ich kann nicht davon ausgehen, dass ich Flüchtlingsboote abwehre und zurückdränge. Ich muss auch konkrete Hilfe leisten und den Flüchtlingen auch die Möglichkeit geben, das eigene Schiff zu betreten, um sie aus der Seenot zu befreien. Und dann muss ich ihnen auch die Möglichkeit geben, einen Asylantrag zu stellen und ihnen Schutz zu gewähren. Diese Politik der Abschottung funktioniert letztendlich nicht.



domradio.de: Was sollte Europa denn sagen: die Türen sind auf, Ihr dürft kommen?

Stark: Wenn wir uns die Zahlen konkret anschauen, sehen wir ja: Es ist nicht so, dass riesige Flüchtlingsströme auf dem Weg nach Europa sind. Aber wir sind gut in der Lage, damit fertig zu werden.



domradio.de: Die Bundesregierung möchte lieber Anreize vor Ort schaffen, um mögliche Flüchtlinge im Land zu halten und nicht anzulocken. Kann so eine Strategie funktionieren?

Stark: Langfristig, und das wissen auch Politiker in Europa, brauchen wir sogar andere, legale Zuwanderungsmöglichkeiten. Wir müssen zum Beispiel die Möglichkeit schaffen, dass Menschen von woanders hier hinkommen, um zu arbeiten. Mit unserem derzeitigen Ausländerrecht ist das fast unmöglich. Die Wirtschaft braucht Fachkräfte, wir wissen alle, dass in den nächsten 30 Jahren 15 Millionen Einwohner weniger da sind in Deutschland. Wir brauchen Zuwanderung in der Zukunft. Eigentlich müssten wir uns jetzt Gedanken darüber machen, wie wir unser Ausländerrecht umgestalten, dass wir auch Anreize für dafür schaffen.



domradio.de: Zuletzt hat Deutschland 150 Flüchtlinge aus Afrika aufgenommen. Wie finden sich diese Menschen hier jetzt zurecht?

Stark: Die bekommen dann eine Aufenthaltserlaubnis, das ist ein gutes Zeichen. Allerdings ist die Zahl viel zu gering. Ich bin in ständigem Kontakt mit meinen Kollegen in Malta, und die Insel ist wirklich überlastet mit den Flüchtlingen. Es kommt auch zu rechtsradikalen Reaktionen in der Bevölkerung deshalb. Hier könnten wir auch stärker Solidarität leisten.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.