Den Norwegern ist christlicher Fundamentalismus nicht fremd

Gebete, Heilung, enger Glaube

Hohe Berge, tiefe Fjorde, Küstennebel. Fischer, die sich den Wogen des Atlantiks aussetzen, und Bergbauern, die mit langer Dunkelheit und Schnee zu kämpfen hatten. Dort, wo Menschen Naturgewalten ausgesetzt waren, ist oft auch das Christentum besonders stark - auch in Skandinavien.

Autor/in:
Benjamin Lassiwe
 (DR)

Auf den unwirtlichen Färöer-Inseln, entlang der im 19. Jahrhundert von Mooren und Armut geprägten dänischen Westküste und in den Fjorden Norwegens entstanden vor rund 150 Jahren zahlreiche Freikirchen. Und bis heute gibt es gerade in Norwegen eine lebendige evangelikale Szene, deren Gemeinden in Einzelfällen hart an der Grenze des christlichen Fundamentalismus kratzen. Mit rund 90.000 Mitgliedern gehört ihren Gemeinden ein deutlich höherer Prozentsatz der Bevölkerung als in Deutschland an.



Der Attentäter von Oslo und Utoja, Anders Behring Breivik, allerdings gehörte nicht dazu. Als 15-Jähriger ließ er sich in der lutherischen Volkskirche taufen, doch seine Meinung zum Protestantismus geht aus Blogbeiträgen und dem von ihm im Internet veröffentlichten, kruden Manifest deutlich hervor: "Sechs Dekaden der marxistischen Doktrin des Kulturrelativismus und des egalitären Denkens haben besonders die protestantischen Kirchen Europas infiziert", schreibt der Täter. "Das hat zu einer Situation geführt, in der die Mehrheit der Protestanten, mich eingeschlossen, jeden Respekt vor der protestantischen Kirche verloren hat."



Heilungsgottesdiensten und Zungenrede

Distanziert äußert sich Breivik auch zu einer Pfingstkirche, deren Gottesdienst er einst in Oslo besucht haben will - und schlägt wahnhaft die Konversion der lutherischen Gemeinden Norwegens zum Katholizismus vor. Menschen wie Aage Samuelsen hätte das nicht gefallen. Der Gründer der "Maranatha"-Pfingstkirche steht für das evangelikale Norwegen, für eine charismatische Gemeindegründung mit Heilungsgottesdiensten und Zungenrede, die in den 1960er und 1970er Jahren das skandinavische Königreich bewegte. Seine Glaubenslieder erreichten tausende Norweger, mehrere goldene und platine Schallplatten nahm er auf. Doch der über ihn gedrehte Kinofilm "Broder Gabrielsen" zeigte auch die Schattenseiten eines freikirchlichen Evangelisten: Selbstüberschätzung und Eitelkeit, und der Glaube daran, durch die eigenen Gottesdienste Wunder bewirken zu können, sind zentrale Themen des 1966 von Nils R. Müller gedrehten, preisgekrönten Films.



Und auch in der rund 7.000 Mitglieder starken Brunstad-Bewegung hätte sich ein Anders Behring Breivik wohl nicht zu Hause gefühlt: Die auch in Deutschland aktive Freikirche, die nach ihrem Gründer zuweilen als "Smiths Venner" (Smiths Freunde) bekannt ist, gilt ebenfalls als ein Paradebeispiel für eine norwegische Erweckungsbewegung, die die Bibel nicht nur wörtlich nimmt, sondern auch davon ausgeht, dass die Schöpfungsgeschichte des 1. Buch Mose wirklich so stattgefunden hat. Kritiker werfen der Gruppe, die für einen eng gelebten, traditionellen Glauben eintritt, "christlichen Fundamentalismus" vor - sie grenzt sich von der Welt ab, beruft sich auf ein wörtliches Bibelverständnis und sucht nur wenig Kontakte mit anderen Christen.



Christlicher Glaube nur ein Versatzstück

Doch auch christliche Fundamentalisten sind in der Regel keine Einzelgänger so wie Anders Behring Breivik. Sie treffen sich in der eigenen Gemeinde, feiern gemeinsam und wertschätzen zumindest ihre Mitchristen. Das alles lässt sich über den Attentäter von Oslo so nicht sagen. Für ihn war der christliche Glaube nur ein Versatzstück in einer aus vielen Elementen zusammengeschraubten Weltanschauung. Deren Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit sind auch mit den Werten christlicher Fundamentalisten kaum vereinbar.