Westerwelle besucht Haiti - und einen Präsidenten mit Problemen

Die verschwundenen Milliarden

Zum Abschluss seiner Amerika-Reise war Außenminister Guido Westerwelle in Haiti. Dort traf er auf Staatspräsident Michel Martelly. Zwei Monate ist der im Amt - und steht vor einem Berg von Problemen, die er von seinem Vorgänger geerbt hat. Und deren Umfang er wohl selbst noch nicht überblickt.

Autor/in:
Tobias Käufer
 (DR)

Die Anzüge sind maßgeschneidert, die Worte wohlgesetzt: Zumindest die äußere Erscheinung stimmt, wenn Haitis der populäre Musiker und frischgebackene Präsident seinen Amtsgeschäften nachgeht. Das sind aber auch schon im Wesentlichen die guten Nachrichten, die sich mit "Sweet Micky" in seiner neuen Funktion als politische Nummer 1 seines Heimatlandes verbinden.



Ein Großteil der Hilfsgelder, die sein Land nach dem schweren Erdbeben vom Januar 2010 erhalten hat, sind schlichtweg verschwunden. Insgesamt seien rund vier Milliarden Dollar für Haiti gespendet worden, rechnet Martelly vor. Doch wo sie blieben, könne man nicht nachvollziehen; Rene Preval habe keine Rechenschaft über die Verwendung des Geldes abgegeben. Wohin, wann und an wen welche Millionen geflossen sind - niemand weiß es genau.  Das gibt Anlass zu hässlichen Spekulationen.



Ohne Macht im Parlament

Die bisherige Regierungspartei reagiert auf die Vorwürfe nach ihrer Art. Sie blockiert bislang jeden Personalvorschlag, den der neu gewählte Präsident ins Parlament einbringt. In der Kammer mit 99 Sitzen verfügt Martelly nur über 3 Mandatsträger. Gegen den Willen der parlamentarischen Mehrheit der Einheitspartei Inite von Vorgänger Preval kann Martelly nicht regieren.



Diese Machtlosigkeit bekommt das neue Staatsoberhaupt nun zu spüren. Gleich zweimal scheiterte Martelly mit seinem Versuch, einen neuen Regierungschef durchzusetzen; das von der Opposition dominierte Parlament lehnte bislang die beiden vorgeschlagenen Kandidaten ab. Das Ergebnis ist politischer Stillstand. Dabei hatten die Haitianer inständig gehofft, mit der Wahl Martellys werde endlich neuer Schwung in die Aufräumarbeiten nach dem Erdbeben vom Januar 2010 kommen. Die Euphorie nach dem Wahlsieg scheint verflogen, die alten politischen Eliten, die für das Chaos nach dem Erdbeben mitverantwortlichen waren, sitzen weiter an den Schalthebeln der Macht.



Schon mehr als 5.000 Cholera-Totea

Stattdessen müssen andere Kräfte mithelfen, das Land nicht in Anarchie abgleiten zu lassen. Die UNO-Stabilisierungstruppe (MINUSTAH) schickte am Donnerstag rund 2.000 Soldaten in die Armenviertel der Hauptstadt Port-au-Prince. Die internationalen Sicherheitskräfte sollen dort für Ordnung sorgen und Tonnen von Abfall und Trümmern beseitigen. Vor allem die Straßen der Armenviertel Cite Soleil, Martissant und Bel Aire gleichen einer riesigen Müllhalde. In erster Linie aber sollen die Militärs den zahlreichen kriminellen Banden Einhalt gebieten, die sich wie ein Krebsgeschwür in der Stadt ausgebreitet haben. Das Machtvakuum kreiert neue, hässliche Facetten.



Aus dem internationalen Blickwinkel geraten, aber immer noch ein großes Problem ist die seit Oktober 2010 grassierende Cholera-Epidemie. Bereits mehr als 5.600 Menschen fielen der Krankheit zum Opfer; jeden Tag infizieren sich nach offiziellen Angaben rund 800 weitere Personen. Ein Ende der Krankheitswelle ist noch nicht in Sicht.



Wann in Haiti endlich eine Dynamik in Gang kommt, die die Menschen vor Ort hoffen lassen kann, ist nicht abzusehen. Wahlgewinner Michel Martelly muss erst einmal seine eigenen Probleme lösen. Eine Enttäuschung mehr für das geschundene Land.