Notfallseelsorger über Trauerarbeit ein Jahr nach der Loveparade-Tragödie

Gemeinsam ins Leben hineinfinden

Mit einer Gedenkfeier für die Loveparade-Opfer sollen ein Jahr nach dem Unglück Angehörige, Überlebende und Duisburger Bewohner wieder gemeinsam in das Leben hineinfinden. Das erklärte Landespfarrer Rieske im domradio.de-Interview. Der Notfallseelsorger ist an den Vorbereitungen der Feier am 24. Juli im Stadion des MSV Duisburgs beteiligt.

 (DR)

domradio.de: Sie organisieren eine Gedenkfeier für die Opfer der Loveparade-Katastrophe. Worauf kommt es Ihnen bei dieser Feier an?

Landespfarrer Uwe Rieske,  Leiter der Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland: Zunächst einmal haben wir überlegt, an welchem Ort wir eine Gedenkfeier für die Angehörigen der Opfer der Loveparade, für die Überlebenden der Katastrophe und für die Öffentlichkeit in Duisburg stattfinden lassen können. Bereits die Auswahl dieses Ortes war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Was wir unbedingt vermeiden wollen, ist eine Irritation durch Gedränge, das entfernt an das erinnern könnte, was vor einem Jahr passiert ist. Wir haben deswegen die MSV Arena in Duisburg gewählt. Worauf es uns an dieser Stelle ankommt, ist, dass es eine Gemeinschaft der Trauer gibt. Dass die Angehörigen der Opfer, die am stärksten betroffen sind, die vielen Überlebenden der Loveparade, aber auch die Öffentlichkeit in Duisburg und weit darüber hinaus in einer Gemeinsamkeit der Trauer sich wiederfinden, um auch wieder gemeinsam ins Leben hineinfinden zu können.



domradio.de: Am 24. Juli jährt sich die Katastrophe, wie geht es den Opfern ein Jahr nach dem Unglück?

Rieske: Es ist unterschiedlich. Zunächst einmal die Angehörigen der Todesopfer haben vielfach ihre Kinder verloren. Ein solcher Verlust ist sehr einschneidend und sehr gravierend. Das Leben wird eingeteilt in die Zeit davor und die Zeit danach. Ein solcher Schlagt verändert Biografien. Genauso ist es bei denen, die den Partner oder die Partnerin verloren haben. Wir haben auch zwei Kinder, die durch dieses Unglück zu Halbwaisen geworden sind. In den einzelnen Familien gibt es unterschiedlich starke Netzwerke, um mit diesem Verlust umzugehen. Man kann über den Daumen sagen, dass es vielen Angehörigen gerade jetzt zum Jahrestag schlecht geht, dass das Erlebte, das Erlittene, der Verlust wieder wach wird und dass man sich auch die Frage stellt, was wäre gewesen wenn.



domradio.de: Was haben Sie im vergangenen Jahr getan, um den Angehörigen zu helfen?

Rieske: Wir haben Sie eingeladen. Wir haben sie zunächst im Juli zu der Gedenkfeier für die Opfer der Loveparade zu einem Angehörigentreffen eingeladen und dann in Abständen immer wieder zu Treffen. Bei den Treffen konnten sie sich selber über den Verlust austauschen, über ihre Bewältigungsstrategien, über das, was hilft, über das, was belastet. Allmählich sind dort Netzwerke, Freundschaften entstanden. Viele sagen, dass sie sich auf diesen Angehörigentreffen ganz besonders aufgehoben fühlen, dass sie den Eindruck haben, dass sie hier am besten verstanden werden. Dies ist auch ein Stück weit normal, weil das Umfeld, der normale Kontakt, den die Angehörigen sonst in ihren Kontexten haben, hat natürlich nur begrenzt Einfühlung in das, was sie beschäftigt und bewegt und geht wieder zur Normalität über. Während es auf unseren Treffen normal ist, in dieser völlig unnormalen Situation zu sein, nämlich hautnah, nämlich durch dieses Unglück betroffen zu sein. Das verbindet. Diese Gemeinschaft wird gestärkt durch das Erleben, es gibt andere, denen es genauso geht und eben auch durch Menschen, die versuchen diesen Trauerprozess behutsam zu begleiten



domradio.de: Bislang ist ja wenig aufgearbeitet. Die Schuldfrage ist nicht eindeutig geklärt. Kann es sein, dass es nicht den einen Schuldigen gegeben hat, sondern eben viele kleine Schuldige, die letztlich die Katastrophe verursacht haben?

Rieske: Da werden Sie Recht haben. Sonst würde auch das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft nicht so lange dauern und so intensiv andauern, wie es gegenwärtig läuft. Wir alle wissen,  es gibt 16 Beschuldigte, aber für uns als Notfallseelsorger ist nicht so sehr die Frage der Schuld im Vordergrund, sondern die Frage der Verantwortung. Man kann die Frage nach der moralischen Verantwortung aber auch nach der menschlichen Verantwortung stellen. Das ist nicht nur eine Frage, die das Vorhinein des Unglücks betrifft, sondern vor allen Dingen auch die Zeit danach. Wie geht man mit den Betroffenen um, welche Möglichkeiten bietet man Ihnen an, wie lässt man sich auch auf Begegnungen, auf ihre Wünsche, auf ihre Bedürfnisse ein, nimmt man sie ernst... Das ist eher eine Frage der menschlichen Verantwortung und hier, denke ich, wäre es für die Angehörigen ein deutliches Zeichen, wenn sie spüren, sie sind mit dem, was sie beschäftigt und bewegt nicht allein.