Priester und Politiker sind laut Suchtforscher besonders gefährdet

Der Griff zur Flasche

Der Bundestagsabgeordnete Schockenhoff (CDU) hat sich öffentlich zu seinem Alkoholproblem bekannt. Der Suchtforscher Michael Klein von der Katholischen Hochschule in Köln warnt im domradio.de-Interview, auch Priester sind gefährdet, Alkohol zu missbrauchen. Bei dieser Gruppe gehe es genauso um "Stress, Verantwortung, Tabuisierung und Einsamkeit".

 (DR)

domradio.de: Ist Andreas Schockenhoff einer von wenigen Einzelfällen oder hatte Joschka Fischer mit seiner Äußerung "Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholiker-Versammlung"  von 1983 Recht?

Michael Klein, Leiter des Deutschen Instituts für Sucht- und Präventionsforschung an der Katholischen Hochschule Köln: Selbst damals gab es schon alkoholabhängige Bundestagsabgeordnete, die sich geoutet haben. Das Phänomen ist nicht neu. Was wir wissen, ist, dass in solchen Berufen die Gefährdungslage einfach höher ist. Hier kommen ganz viele Dinge zusammen: Täglicher Stress, viel Verantwortung, Tabuisierung und oft auch Einsamkeit und Isolation. Wenn das alles nicht besprochen wird, dann ist das eine gefährliche Mischung. Es kann dazu führen, dass Personen zu Alkohol oder anderen Substanzen greifen.



domradio.de: Würden Sie sagen, dass die Politik Alkoholismus fördert?

Klein: Die Realität des politischen Lebens ist sicherlich eine Risikokonstellation. Das heißt natürlich nicht, dass alle alkoholabhängig werden, aber es heißt mit Sicherheit, das Risiko ist höher als in anderen Berufen. Hier kommen ganz viele Dinge zusammen, die eine sehr starke Haltung, eine starke Persönlichkeit und eine gute psychische Gesundheit erforderlich machen würden, was aber oft nicht gegeben ist.



domradio.de: Auch die ehemalige evangelische Bischöfin Margot Käßmann ist vor einiger Zeit aufgefallen, weil sie alkoholisiert war. Sie hat daraufhin auch ihr Bischofsamt verloren. Katholische Priester feiern regelmäßig die Heilige Messe mit Brot und Wein. Wie verbreitet ist denn der Alkoholismus unter Kirchenleuten, wissen Sie das?

Klein: Wir wissen es nicht genau, weil das bisher nicht flächendeckend untersucht werden konnte. Wir gehen aber davon aus, dass auch in diesem Kontext, wo es auch um Stress, Verantwortung, Tabuisierung und Einsamkeit geht, Menschen besonders gefährdet sind. Wir hatten vor einigen Jahren die Gelegenheit, das im Rahmen einer akademischen Arbeit an einer Gruppe von alkoholabhängigen Ordensleuten und Priestern zu untersuchen. Die Untersuchung ist nicht repräsentativ, aber sie zeigt im Grunde, dass diese Menschen besonders subjektiv stressbelastet waren und dass sie eben auch besonders hilfebedürftig waren.



domradio.de: Sie haben gerade auch deutlich gemacht, dass für beide Gruppen gilt, dass sie unter Umständen auch sehr einsam sind in diesen Tempeln, in denen sie sitzen, sei es Politik oder Kirche. Outen ist eine Möglichkeit, das machen viele in den USA auch. Was würden Sie empfehlen?

Klein: Wenn solche Dinge wie hohes Stressniveau und Einsamkeit die Probleme sind, dann sind das natürlich Zeichen dafür, dass das Leben beginnt, aus den Fugen zu geraten. Ein Warnzeichen, wenn Sie so wollen. Das heißt, ich muss die Wertigkeit der Arbeit zurückschrauben. Ich muss mehr für mein persönliches Wohlergehen, für meine psychische Gesundheit machen. Wenn ich damit nicht alleine zurechtkomme, zum Beispiel auf andere Menschen zu gehen oder vielleicht auch eine Psychotherapie beginnen. Auf keinen Fall sollte man aber zu lange zu warten. Das ist das eigentlich gefährliche.



domradio.de: Der Prozess in die Alkoholsucht hineinzurutschen ist schleichend, an welchen Faktoren, kann das jeder erkennen?

Klein: Die betroffenen Personen merken es in der Regel zu spät. Man kann es erkennen, dass man eine immer größere Menge Alkohol trinken muss, um den gleichen Effekt zu erreichen. Dass man sich wegen seines Alkoholtrinkens zunehmend schämt und Schuldgefühle hat und dieses dann nach außen verbirgt oder verleugnet. Dass man sich von alten Freunden und Bekannten zurückzieht und dass man im schlimmsten Fall, wenn man keinen Alkohol mehr zur Verfügung hat, auch körperliche Symptome hat, die sogenannten Entzugserscheinungen. Das ist sozusagen der letzte Beweis dafür, dass der Mensch abhängig ist.