Suchtforscher: Nicht nur Politiker, auch Priester sind alkoholgefährdet

"Die Betroffenen merken es in der Regel zu spät"

Nach seinem Bekenntnis, alkoholkrank zu sein, will Andreas Schockenhoff jetzt eine Therapie machen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist kein Einzelfall, sagt Suchtforscher Michael Klein im domradio.de-Interview, auch Priester seien gefährdet.

 (DR)

domradio.de: Hatte Joschka Fischer damals - als er 1983 vom Bundestag als "unglaublicher Alkoholiker-Versammlung" sprach -  wie heute Recht. Oder ist Andreas Schockenhoff einer von wenigen Einzelfällen?

Klein: Selbst damals gab es schon alkoholabhängige Bundestagsabgeordnete, die sich geoutet haben. Das Phänomen ist nicht neu. Was wir wissen ist, dass in Berufen wie dem des Politikers die Gefährdungslage einfach höher ist. Das hängt damit zusammen, dass hier ganz viele Dinge zusammenkommen: täglicher Stress, viel Verantwortung, Tabuisierung und oft auch Vereinsamung und Isolation. Und wenn das alles nicht durchbrochen wird, ist das eine gefährliche Mischung, die dazu führen kann, dass Personen zu Alkohol oder anderen Substanzen greifen.



domradio.de: Wenn man es auf den Punkt bringen will, kann man sagen, dass der Beruf des Politikers Alkoholismus fördert?

Klein: Die Realität des politischen Lebens und des Politikerseins ist sicherlich eine Risikokonstellation. Das heißt natürlich nicht, dass alle alkoholabhängig werden. Aber es heißt mit Sicherheit, dass Risiko ist höher als in anderen Berufen. Gerade, weil hier viele Dinge zusammenkommen, die im Grunde eine sehr starke Haltung, eine starke Persönlichkeit und eine gute psychische Gesundheit erforderlich machen würden - was aber oft nicht gegeben ist.



domradio.de: Der Prozess in die Alkoholsucht reinzurutschen ist vermutlich schleichend - an welchen Faktoren kann das denn vielleicht auch jeder selber erkennen?

Klein: Die betroffenen Personen merken es in der Regel zu spät. Man kann es daran erkennen, dass man eine immer größere Menge Alkohol trinken muss, um den gleichen Effekt zu erreichen; dass man sich zunehmend schämt und Schuldgefühle wegen seines Alkoholtrinkens - und dieses dann nach außen verbirgt oder verleugnet, dass man sich von alten Freunden und Bekannten zurückzieht, und dass man im schlimmsten Fall, wenn man keinen Alkohol mehr zur Verfügung hat, auch körperliche Symptome hat. Die sogenannten Entzugserscheinungen, das ist der letzte Beweis dafür, dass der Mensch abhängig ist.



domradio.de: Katholische Priester feiern annähernd täglich die Heilige Messe mit Brot und Wein. Wie verbreitet ist der Alkoholismus denn unter Kirchenleuten?

Klein: Wir wissen es nicht genau, weil das bisher nicht wirklich flächendeckend untersucht werden konnte. Wir gehen aber davon aus, dass auch in diesem Kontext, in dem es wieder um Stress, Verantwortung, Tabuisierung, Einsamkeit geht, Menschen besonders gefährdet sind. Wir hatten vor einigen Jahren die Gelegenheit, das im Rahmen einer akademischen Arbeit an einer Gruppe von alkoholabhängigen Ordensleuten und Priestern zu untersuchen - ohne dass diese repräsentativ war. Und die im Grunde gezeigt hat, dass diese Menschen besonders subjektiv stressbelastet waren und dass sie besonders hilfebedürftig waren.



domradio.de: Mit welchen Mechanismen können Menschen, die andauernd Alkohol-Angeboten ausgesetzt sind - etwa Politiker oder auch Priester - sich dem entziehen? Können Sie da Anregungen geben?

Klein: Es gibt viele Möglichkeiten. Man kann ganz einfach Nein sagen. Oder man kann sagen, dass man den Alkohol nicht verträgt. Man kann auch, wie Andreas Schockenhoff es macht, sich outen. Das ist ein Verhalten, das in den USA durchaus üblich wäre: dass Personen am Ende zu ihrer Alkoholabhängigkeit stehen. Aber entscheidend ist, dass die einzelne Person sehr viel Selbstkontrolle über ihr Trinkverhalten ausübt. Wie sie es tut, ist zunächst sekundär.



Das Gespräch führte Monika Weiß.



Zur Person: Professor Michael Klein ist der Leiter des Deutschen Instituts für Sucht und Präventionsforschung an der Katholischen Hochschule Köln.