Der Bundestag stimmt über Präimplantationsdiagnostik ab

Richtungsentscheidung

Der Bundestag steht vor einer ethischen Richtungsentscheidung: Soll er die sogenannte Präimplantationsdiagnostik zulassen oder verbieten? Vor der Entscheidung haben Befürworter und Gegner der PID in einer sachlichen und ernsthaften Debatte für ihre Positionen geworben. Die Zahl der Befürworter eines PID-Verbots war zuletzt etwa gleich groß wie die jener Abgeordneten, die für eine Zulassung der Gentests an Embryonen in wenigen oder großzügiger gefassten Ausnahmefällen sind.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Bei der Methode untersuchen Ärzte im Rahmen der künstlichen Befruchtung Embryonen auf genetische Schäden. Dabei werden jeweils mehrere Embryonen erzeugt; die gesündesten werden in den Mutterleib eingepflanzt, die möglicherweise geschädigten vernichtet. Genetisch vorbelastete Paare erhoffen sich durch die PID, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Kritiker sehen hingegen ein Aussortieren von menschlichem Leben nach bestimmten Kriterien.



Bischöfe sprechen von "Selektion"

Nicht nur die katholischen Bischöfe, auch viele Abgeordnete sowie der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde sprechen offen von "Selektion". Das ist auch der Grund, warum alle drei vorliegenden Gesetzentwürfe grundsätzlich ein Verbot fordern. Zwei wollen die Methode aber dann doch mit unterschiedlicher Reichweite zulassen. Drei Stunden wollen sich die Abgeordneten Zeit nehmen, um vor der Entscheidung nochmals das Für und Wider abzuwägen.



Die PID galt bis vergangenen Juli als verboten. Dann entschied der Bundesgerichtshof überraschend, dass dies nicht generell zutrifft.



Mehrheit zeichnete sich bis zuletzt nicht ab

Damit ist der Gesetzgeber gefragt. Die drei Gesetzesinitiativen orientieren sich nicht an Fraktionsgrenzen, sondern werden von Gruppen getragen, da eine Entscheidung dieser Tragweite dem Gewissen des Einzelnen überlassen bleiben soll. Von den insgesamt 621 Abgeordneten haben sich 172 noch nicht entschieden. Eine Mehrheit zeichnet sich bislang nicht ab.



Vertreter des strikten Verbots: Nicht mit christlichen Menschenbild vereinbar

Die Vertreter eines strikten Verbots um die Abgeordneten Johannes Singhammer (CSU) und Katrin Göring-Eckhardt (Grüne) konnten knapp 200 Unterstützer für ihren Antrag finden. Für sie ist die PID weder mit dem christlichen Menschenbild noch mit der Verfassung vereinbar. Der Elternwunsch sei verständlich, er berechtige aber nicht dazu, über das Lebensrecht anderer zu entscheiden, lautet ihre Argumentation. Die Zulassung wäre ein Paradigmenwechsel im deutschen Rechtsverständnis. Sie machen zudem geltend, dass die Methode nur bei rund 15 Prozent der Fälle zum Erfolg führe - ohne Garantie auf ein gesundes Kind. Den allermeisten Paare drohe nach allen Strapazen also eine tiefe Enttäuschung. Zudem sei offen, was mit den überzähligen Embryonen geschehen solle.



Mit deutlich über 200 Unterstützern liegt die Gruppe einer weitergehenden Zulassung der PID um die Abgeordneten Peter Hintze (CDU) und Ulrike Flach (FDP) vorne. Sie will die Methode für Paar erlauben, die mit "hoher Wahrscheinlichkeit" eine schwere Krankheit vererben können. Außerdem soll PID zur Feststellung einer schweren Schädigung des Embryos erlaubt sein, "die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird".

Kritiker sehen darin bereits eine Öffnung hin zu einem "Screening" - also einer Untersuchung, die zu einem Standard wird und nicht nur auf die geschätzten 200 Paare pro Jahr beschränkt bleibt.



Die Gruppe der Abgeordneten um Rene Röspel (SPD), Norbert Lammert (CDU) und Priska Hinz (Grüne) wollen die Diagnostik hingegen nur für Eltern zulassen, deren Nachkommen aufgrund einer genetischen Disposition "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung des Embryos, Fötus oder Kindes zur Folge hat", die wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit "zur Tot- oder Fehlgeburt führen kann". Dieser Antrag kam bislang auf 36 Unterstützer.



Form der Abstimmung

Aufgrund des knappen Votums könnte die Form der Abstimmung mitentscheidend sein. Das Parlament stimmt zunächst über das Abstimmungsverfahren ab. Geplant ist, dass die Abgeordneten schriftlich ihre Stimme für einen der drei Anträge abgeben. Enthält keiner der Anträge die absolute Mehrheit, fällt in der zweiten Abstimmung der Antrag mit den wenigsten Stimmen weg. Dann wird nur noch über zwei Gesetzentwürfe abgestimmt.



Die Entscheidung gilt weit über Deutschland hinaus als richtungsweisend. Einige Nachbarländer erlauben die PID, andere verbieten sie. Doch gilt Deutschland für viele als Orientierungspunkt.



Richter mahnten eine eindeutige gesetzliche Regelung an

Die Abstimmung des Bundestags zur Präimplantationsdiagnostik (PID) erfolgt fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), das Auslöser für die politische Debatte um eine Neuregelung war. Am 6. Juli 2010 urteilte der BGH, dass Gentests an Embryonen nach künstlicher Befruchtung in bestimmten Fällen nicht strafbar sind. Damit bestätigte der BGH ein Urteil des Landgerichts Berlin. Es hatte den Berliner Gynäkologen Matthias Bloechle, der sich nach dem Vollzug mehrerer Gentests selbst angezeigt hatte, freigesprochen.



Der 5. Senat des BGH urteilte, dass der Arzt die PID in dem Willen vollzogen habe, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Zudem führte er die PID an pluripotenten Zellen durch, aus denen nicht mehr ein kompletter Organismus entstehen kann. "Dem mit dem Gesetz verfolgten Zweck des Schutzes von Embryonen vor Missbräuchen läuft die PID nicht zuwider", so die Richter. Sie verwiesen darauf, dass die PID bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes 1990 erst im Ausland entwickelt wurde. Dem "zu würdigenden Willen des historischen Gesetzgebers lässt sich ein Verbot einer solchen PID ... nicht entnehmen", urteilte der BGH.



Aus der Urteilsbegründung geht aber auch hervor, dass eine "unbegrenzte Selektion anhand genetischer Merkmale" mittels PID nicht zulässig ist. Es müsse um eine Untersuchung auf "schwerwiegende genetische Schäden" gehen. Eine PID etwa zur Auswahl des Geschlechts des Kindes sei weiterhin strafbar. Die Richter mahnten eine eindeutige gesetzliche Regelung an.