Erzbischof Marx zum neuen Sozialwort der deutschen Bischöfe

"Schauen auf Möglichkeiten des Menschen"

Mit ihrem neuen Sozialwort wollen die deutschen Bischöfe auch einen Begriff zurückerobern, erklärt der Münchner Kardinal Reinhard Marx im Interview mit domradio.de: den der Freiheit, ein "zutiefst biblisches Wort".

 (DR)

domradio.de: Warum gerade jetzt dieses Sozialwort?

Erzbischof Reinhard Marx: Wir sind ja nicht immer tagespolitisch orientiert, wir arbeiten schon seit zwei, drei Jahren an diesem Text. Uns war aufgefallen, dass unsere Gesellschaft nicht so durchlässig und chancengerecht ist, wie sie immer behauptet. Das sind Entwicklungen, die sich über viele Jahre vollziehen. Und so kam in unserer Kommission die Idee auf, mal etwas dazu zu machen. Auch mit Blick auf die Frage und Überlegung: Wir brauchen in unserer Gesellschaft auch gemeinsame Leitbilder, die uns zusammenführen. Das war das Anliegen. Das passt gerade in die Zeit - und ich hoffe, dass es in ein paar Jahren auch noch passt und nicht nur für den Augenblick geschrieben ist.



domradio.de: In dem Papier geht es um die "Wiederentdeckung der Freiheit als sozialpolitisches Prinzip" - erklären Sie das bitte ausführlicher?

Marx: Mich hat immer gestört, dass das Thema Freiheit mit Kirche nicht ganz zusammenpasst, manche haben den Eindruck, dass das ein Widerspruch ist. Dabei ist Freiheit doch ein zutiefst biblisches Wort, ein Wort unseres Glaubens. Ich habe das auch als meinen Wahlspruch gewählt: "Wo der Geist des Herren ist, da ist Freiheit." Es hat mich immer geärgert, dass wir uns den Begriff der Freiheit wegnehmen lassen und ihn nicht positiv besetzen. Deswegen war es uns in der Arbeitsgruppe auch wichtig, darauf hinzuweisen: Freiheit ist im Grunde Ausdruck der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Und daraus ergibt sich natürlich auch, wie man zusammenlebt, wie man die Freiheit des anderen achtet; aber es ist erst einmal ein positiver Zugang zum Menschen und zur Gesellschaft. Es ist wichtig, dass wir nicht ständig dastehen als diejenigen, die das Negative sehen, sondern erst einmal das Positive. Unser Menschenbild schaut auf die Möglichkeiten des Menschen und will eine Gesellschaft aufbauen, wo jeder eine Chance hat. Das ist eigentlich die Zielrichtung. Gerade in diesen Jahren ist es wichtig, dass wir solche positiven Vorstellungen von der Freiheit entwickeln - und die Freiheit nicht nur als Gefahr sehen.



domradio.de: Gibt es im Sozialwort auch ganz konkrete Empfehlungen an unsere Politik hier in Deutschland?

Marx: Wir haben einige konkrete Punkte herausgegriffen: Wie können Menschen ihre Freiheit auch wirklich leben in Verantwortung. Dazu gehört das Thema Bildung, vor allen Dingen auch die frühkindliche Bildung: Dass Familien natürlich die erste Verantwortung haben, es aber zunehmend doch auch Familien und Situationen gibt, wo Kinder die Chance bekommen, die sie brauchen, um die Möglichkeiten, die in ihnen stecken, zu entfalten. Das Thema Bildung ist ein Schlüsselthema für eine chancengerechte Gesellschaft. Genauso das Thema Arbeit. Die Erwerbsarbeit bleibt ein wichtiger Bereich, ob sie frei sind. Das ist schon in der klassischen Soziallehre so: ohne Arbeit keine Freiheit; denn dann fehlt auch die finanzielle Grundlage dafür, sich zu entfalten. Also ist da eine ganz wichtige Notwendigkeit, auch gesellschaftlich Rahmenbedingungen zu schaffen. Der letzte Punkt ist der der Generationengerechtigkeit. Auch das ist sehr wichtig, damit jemand, der sich auf das Leben in einer solchen offenen Gesellschaft einlässt, auch weiß, dass er gesichert ist in seinem Risiko, was die Freiheit natürlich auch beinhaltet.



Das Gespräch führte Jan Hendrik Stens.