Erzbischof Zollitsch für die Aufnahme Serbiens in die EU

"Ich fühle mich den Menschen hier verbunden"

Es ist eine Reise in die Heimat seiner Kindheit: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hält sich für mehrere Tage in Serbien auf. Im domradio.de-Interview spricht er über die Zusammenarbeit mit der serbisch-orthodoxen Kirche und seine Hoffnung auf einen baldigen EU-Beitritt des Balkanlandes.

 (DR)

domradio.de: Warum meinen Sie denn, dass Serbien schon reif ist für einen EU-Beitritt?

Erzbischof Zollitsch: Serbien ist sicher ein Land, das zu Europa gehört und eine Brückenfunktion hat im Blick auf den Balkan. Serbien hat einiges dafür getan, um die Kriegsverbrecher nun auszuliefern, und Serbien ist dabei, sich sowohl was die Religionsfreiheit angeht, die hier garantiert ist, als auch was die Menschenrechte angeht, ganz eindeutig in Richtung Europäische Union zu entwickeln. Darum glaube ich, dass nun der Punkt gekommen ist, wo natürlich noch nicht der Beitritt direkt bevor steht, erst einmal müssen ja die Verhandlungen geführt und die Details geklärt werden, an dem Serbien sehr bald in die Zahl der Beitrittsländer aufgenommen werden kann.  Das ist dann auch eine Ermutigung für die Menschen hier, die nach Europa schauen. Das erlebe ich hier immer wieder in vielen Begegnungen. Die Mehrheit der Serben will zu Europa gehören und wir sollten ihnen auch helfen dabei, in Europa zu einer friedlichen Entwicklung Osteuropas und des Balkans beitragen zu können.



domradio.de: Nach der Festnahme von Ratko Mladic hieß es, er wurde jahrelang versteckt und habe in weiten Teilen der serbischen Bevölkerung immer noch Rückendeckung. Ist das auch Ihr Eindruck, was den Umgang der Serben mit den Kriegsverbrechen des Bosnien-Krieges angeht?

Erzbischof Zollitsch: Man muss das sehr differenziert sehen, es ist klar, dass eine ganze Reihe von Leuten sagt, er habe Serbien verteidigt. Aber wenn Sie mit den Intellektuellen, den Professoren und den Bischöfen sprechen, dann spüren Sie, dass das eine schwere Vergangenheit ist und das Serbien sich von dieser Vergangenheit lösen muss. Die Bereitschaft ist sehr groß, auch anzuerkennen, was an Verbrechen geschehen ist. Anzuerkennen aber auch, wie der Weg in die Zukunft geht. Und da müssen wir den Serben helfen, sich hier tatsächlich öffnen zu können für die europäischen Werte von Freiheit und Mitmenschlichkeit. Wir sollten Menschen, die auf einem guten Weg sind, nicht davon abhalten sondern ihnen dabei helfen.



domradio.de: Inwiefern sehen Sie Parallelen mit dem Umgang der deutschen Bevölkerung und den Kriegsverbrechen der Nazis im zweiten Weltkrieg?

Erzbischof Zollitsch: Es ist sicher einiges Hartes geschehen als das damalige Jugoslawien von deutschen Truppen besetzt war, und die Partisanenkämpfe haben viele Wunden hinterlassen. Wir haben auch erleben müssen, dass die Deutschen aus dem damaligen Jugoslawien in Zwangsarbeit und Vernichtungslager gesteckt wurden, so dass es heute faktisch keine Deutschen in Serbien mehr gibt. Und dann hat es sich tatsächlich am Ende des Serbienkrieges wiederholt unter anderen Vorzeichen in ähnlicher Weise. Es ist richtig, dass diese ganze Geschichte aufgearbeitet wird, da sind auch die Serben mit dabei. Das ist auch der Eindruck, den ich hier bei vielen Begegnungen in diesen Tagen gewinne.



domradio.de: Herr Erzbischof Zollitsch: Sie sind ja im heutigen Serbien geboren, in Filipowa um genau zu sein. Was verbindet sie heute noch zu diesem Land ihrer Kindheit?

Erzbischof Zollitsch: Ich bin hier geboren und 1946 nach Deutschland gekommen. Ich habe hier meine Wurzeln, das ist die Heimat meiner Kindheit, mein Heimatort Filipowa war einmal ein deutscher Ort. Es sind zwar keine Familienmitglieder mehr dort, aber ich fühle mich mit den Menschen hier verbunden und ich möchte ihnen helfen, eine Zukunft in Europa zu finden. Ich habe natürlich eine ganze Reihe von Bekannten unter den Priestern und Bischöfen, und es ist wichtig für mich, meine Verbundenheit zu zeigen, nicht zuletzt mit meinem Besuch.



domradio.de: Sie haben in Belgrad den serbisch-orthodoxen Patriarchen Irinej I. getroffen.

Erzbischof Zollitsch: Ich merke, dass der Patriarch ein sehr offener Mensch ist, der interessiert ist an dem, was in Europa geschieht und daran, wie Serbien seinen Weg dorthin finden kann. Er ist auch interessiert an Dialog mit der katholischen Kirche und unserer Theologie. Wir haben darüber gesprochen und hoffen dass auch da vieles an Austausch geschehen kann. Er spürt wie wir auch selber die Religionen, Konfessionen und verschiedenen Kirchen in der Welt dazu beitragen müssen zur gegenseitigen Verständigung und damit auch zum Frieden in der Welt. Da haben die Religionen und Kirchen eine große Aufgabe und da spüre ich eine große Offenheit beim Patriarchen.



Interview: Christian Schlegel



Hintergrund: Zollitsch wurde 1938 als Kind einer donauschwäbischen Familie im Königreich Jugoslawien, auf dem Gebiet des heutigen Serbien, geboren. Seine Familie floh 1946 nach Deutschland. Am Freitag will Zollitsch in Odzaci ein Gedenkkreuz segnen und eine Messe in der örtlichen katholischen Pfarrkirche feiern. Es soll an 212 Männer zwischen 16 und 60 Jahren aus seinem Heimatort Filipowa erinnern, die dort im November 1944 durch die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee ermordet und verscharrt wurden. Zu den Toten zählte Zollitschs damals 16 Jahre alter Bruder Josef.