Kardinal Kaspers Alterswerk zu Wesen und Auftrag der Kirche

Geistlicher Aufbruch aus der Gotteskrise

Nichts Geringeres als eine umfassende Bestandsaufnahme, wie Kirchesein heute aussieht und ausgestaltet werden sollte, damit Menschen im Glauben Hoffnung erfahren können, wagt Kardinal Walter Kasper in seinem 580-Seiten-Werk "Katholische Kirche", das er am Mittwoch in Frankfurt vorgestellt hat.

Autor/in:
Volker Hasenauer
Zieht Bilanz: Walter Kardinal Kasper (KNA)
Zieht Bilanz: Walter Kardinal Kasper / ( KNA )

Seit 20 Jahren ließ Kasper die Idee nicht los, nach seinen theologischen Bestsellern über Gott und Jesus Christus einen dritten Band als Bilanz seines theologischen Denkens zu verfassen. Als Rottenburg-Stuttgarter Bischof (1989-99) und während seiner Arbeit im Päpstlichen Einheitsrat (1999-2010) fand Kasper nach eigenen Angaben nie die Ruhe für das Buchprojekt. Ein Jahr, nachdem Papst Benedikt XVI. seinen "Ökumeneminister" in den Ruhestand entließ, legt der 78-Jährige nun sein Alterswerk vor.



Seine Stärke ist es, komplizierte Zusammenhänge wie historische Entwicklungen und dogmatische Lehraussagen in einfacher Sprache und trotzdem inhaltlich tief zu beschreiben. Damit wird Kaspers Kirchenlehre kein Theologielehrbuch für Experten, sondern Lesebuch für jeden Christen. Er selbst formuliert seine Hoffnung, möglichst vielen Lesern Freude am Glauben zu machen.



Brisante Themen

Dabei blendet der renommierte Theologe keines der heißen Eisen einer möglichen Kirchenreform aus: Er äußert sich zur Rolle der Frau ("Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Kirche kann auf das Charisma von Frauen nicht verzichten."), zur Situation von wiederverheirateten Geschiedenen ("Versöhnung mit der Kirche in begründeten Einzelfällen möglich") und zum Zölibat ("Ehelosigkeit des Priesters gehört in den Zusammenhang der besonderen Nachfolge Jesu"). Kaspers Appell lautet, sich nicht allein an diesen aus seiner Sicht am Kern der Kirchen- und Gotteskrise vorbeigehenden Debatten zu verbrauchen, sondern tiefer zu schürfen.



Kasper fordert eine "neue Evangelisierung" und die damit verbundene "geistliche Erneuerung". Er hofft, dass der katholischen Kirche eine "theozentrische Wende" mit "christologischer Konzentration" gelinge. Die Krise der Kirche in der westlichen Welt - mit dramatischem Rückgang von Gottesdienstbesuchern, einem Verlust von Glaubenswissen und der Auflösung persönlicher Identifikation mit dem Glauben - könne nur überwunden werden, wenn Christen "neue Freude und neue Begeisterung für Gott" fänden. Und wenn es gelinge, die den Christen verheißene Hoffnung neu im Blick auf die Moderne erfahrbar zu machen.



Kirche als Gemeinschaft

Zentral ist für Kasper das Bild, wonach Kirche "communio" - Gemeinschaft sein soll: Gemeinschaft jedes Einzelnen mit Gott, und aus dieser Beziehung heraus eine tiefe Gemeinschaft aller Christen.

Immer wieder schwingt hier seine Erfahrung als Ökumene-Verantwortlicher mit, der den Dialog mit Orthodoxen, Protestanten oder Judentum voranbringen konnte. Ökumene, Gemeinschaft aller christlichen Kirchen hält Kasper für eine "Zukunftsbaustelle".



Institutionell fordert er, und dies leitet Kasper auch aus den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) ab, dass die Kirche weniger hierarchisch-autoritativ, sondern stärker "dialogisch" werden müsse. Keineswegs sieht er darin eine Schwächung des kirchlichen Amtes, denn ohne richtig verstandene Autorität und das Petrusamt sei Kirche nicht vorstellbar. Aber Kirche müsse zu einem "kommunikativen, dialogischen und geschwisterlichen Stil" finden und einen "einseitig autoritativ-hierarchischen Stil" überwinden.



Denn, das ist Kaspers Credo, in der Kirche könne der moderne Mensch Antworten auf seine wachsende existenzielle Not in der säkularisierten, von Individualismus, Relativismus und Hedonismus gekennzeichneten Welt finden: In Gottesdiensten, in der Liturgie und in überzeugt von Gott sprechenden Menschen könne Kirche als "eschatologisches Zeichen", als "Vorschein des kommenden Reich Gottes" erfahrbar werden.



Hinweis: Walter Kasper, Katholische Kirche, Wesen-Wirklichkeit-Sendung, 580 Seiten, Verlag Herder, Freiburg, 2011, 29,95 Euro.