EU-Parlamentarier Liese verteidigt Berlin gegen EHEC-Panik-Vorwurf

"Bei Indizien muss ich warnen"

Das deutsche Krisenmanagement seit dem Ausbruch der EHEC-Infektion ist im EU-Parlament in Straßburg scharf kritisiert worden. "Das Problem sind nicht die Deutschen", sagt im Interview mit domradio.de der CDU-Europaabgeordnete, Zdk-Mitglied und Mediziner Peter Liese, "das Problem ist dieser Erreger."

 (DR)

domradio.de: Was entgegnen Sie den Kritikern, die der Bundesregierung vorwerfen, vorschnell Warnungen ausgesprochen und damit der Landwirtschaft schweren Schaden zugefügt zu haben?

Liese: Das Wichtigste ist, den Blick auf die Opfer zu werfen. Wir haben über 20 Tote in Deutschland und einen Toten in Schweden zu beklagen, Hunderte liegen schwer krank in den Krankenhäusern. Die Ärzte und Schwestern kämpfen um das Leben von Patienten. Und Menschenleben kann man nicht kompensieren - Schäden für Landwirte kann man finanziell ausgleichen. Von daher ist es gut, einmal zu viel zu warnen als einmal zu wenig. Und wenn es Indizien gibt, dass wir einen Zusammenhang zwischen dem Konsum bestimmter Lebensmittel und dieser Erkrankung sehen, hat die Bevölkerung doch das Recht, das zu erfahren. Etwas anderes ist, ob das Krisenmanagement in Deutschland wirklich gut funktioniert. Und da haben die spanischen Kollegen und aus weiteren Ländern natürlich Recht, wenn sie sich beschweren, dass zunächst die Öffentlichkeit informiert wurde, etwa über den Befall bei spanischen Gurken. Und viel später, erst am Abend die offiziellen Meldewege in der Europäischen Union eingehalten wurden. Denn so wichtig es ist, die Medien zu informieren und so sehr ich auch Verständnis, dass die Hamburger Gesundheitssenatorin das auch selber machen wollte - die offiziellen Meldewege zwischen den Behörden müssen eingehalten werden, damit auch dort natürlich so schnell wie möglich die richtigen Konsequenzen gezogen werden.  



domradio.de: Man kann ja jetzt in der EHEC-Krise schon den Eindruck bekommen, dass auch die Experten ratlos sind. Darin liegt natürlich ein enormes Verunsicherungspotenzial, das im Extremfall sogar zu Panik führen kann. Wie kann man in Ihren Augen  unter den gegebenen Umständen Panik vorbeugen?

Liese: Es ist ein schwieriges Geschehen. Und im Gegensatz zu anderen Skandalen, etwa Dioxin Anfang des Jahres, wo ich der Auffassung war, dass viel übertrieben wurde und eine Gesundheitsgefährdung eigentlich nicht bestand, haben wir es hier mit Toten und Hunderten von Patienten zu tun. Von daher ist es ein zweischneidiges Schwert. Ich selber esse jetzt in Straßburg, wo ich mich gerade aufhalte, Salat. Aber in der Mitte und im Norden Deutschlands bin ich zurückhaltend. Und da kann ich nicht den Menschen empfehlen, bedenkenlos zuzugreifen. Ich hoffe sehr, dass es sehr schnell eine klare Auskunft gibt. Es sind jetzt mittlerweile auch Experten der Europäischen Lebensmittelagentur in Deutschland, die helfen, die Aufklärung voranzutreiben. Das hatte Deutschland leider zunächst abgelehnt, jetzt sind sie dabei. Und im Gegensatz zu der allgemeinen Warnung vor Tomaten, Gurken und Salat, bin ich nach wie vor der Meinung, dass die Spur mit den Sprossen eine sehr heiße Spur ist. Wir hatten in anderen Ländern EHEC-Fälle durch Sprossen verursacht, und wir haben sehr klare Indizien. Und dass die jetzt nicht direkt nachgewiesen wurden, muss nicht heißen, dass es keine Gefahr gibt, denn es ist ja gut möglich, dass die Verunreinigung jetzt nicht mehr vorhanden ist, dass sie aber in den letzten Wochen vorhanden war.



domradio.de: Im EU-Parlament wurde heute ja auch über den Umgang mit der Infektion gesprochen. Die spanische Kritik haben sie bereits angesprochen. Was waren denn weitere wichtige Punkte?

Liese: Natürlich haben sich auch Kollegen aus anderen Mitgliedsstaaten darüber beschwert, dass auch ihre Landwirte Einbußen haben. Natürlich haben auch niederländische und österreichische Landwirte jetzt Einbußen. Das ist ein schwieriges Thema. Ich finde es auch richtig, dass man sich über die Entschädigung der Landwirte jetzt Gedanken macht. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass man jetzt nicht vor Warnungen zurückschrecken sollte. Auch wenn die Warnung nicht hundertprozentig abgesichert ist. Wenn ich Indizien habe, muss ich warnen. Und die Forderung, etwa von spanischen Kollegen, dass jetzt die deutschen Behörden den Schaden bei den spanischen Landwirten ersetzen müssen, halte ich für überzogen. Auf den spanischen Gurken war der EHEC-Erreger, der ist auch gefährlich, er hat jetzt nur nicht diese Epidemie hervorgerufen. Das Problem sind nicht die Spanier oder die Deutschen, das Problem ist dieser Erreger.



domradio.de: Darmkeime à la EHEC sind gar nicht so neu. Schon seit Jahren fordern Wissenschaftler intensivere Forschung und bessere Prävention. Was Keime dieser Art so besonders problematisch macht, ist ja u.a. ihre Antibiotikaresistenz dieses Darmkeims. Sie sind selbst Mediziner - wie schätzen Sie das denn ein? Was macht die Keime so resistent gegen Antibiotika?

Liese: Zunächst muss man sagen, dass eine Antibiotika-Therapie bei EHEC selber nicht angemessen ist, da die Bakterien dann sehr schnell auf einmal zerfallen, und dieser Giftstoff, der zum Beispiel die Nieren beschädigt, dann noch schneller freigesetzt würde. Aber es kann uns nächste Woche passieren, dass ein anderer Keim, der grundsätzlich für Antibiotika-Therapie in Frage kommt, uns Schwierigkeiten und wir eine Resistenz haben - und ihn deshalb nicht adäquat behandeln können. Deshalb hat das Europäische Parlament schon vor dem Ausbruch von EHEC gesagt, wir müssen ganz schnell eine Strategie gegen Antibiotika-Resistenzen haben. Und das heißt, dass bei Mensch und Tier sehr viel gezielter und sparsamer mit Antibiotika umgegangen werden muss. Man darf nicht Antibiotika geben, ohne dass es einen Anlass gibt; nicht präventiv zum Tierfutter dazugeben zum Beispiel. Und auch beim Menschen müssen wir viel gezielter halten. Antibiotika sind oft notwendig, um eine schwere bakterielle Erkrankung zu behandeln. Aber nur weil man am Wochenende vielleicht eine Feier hat und eine Erkältung schneller loswerden möchte - wenn gar kein Nachweis von Bakterien vorliegt, muss man mit Antibiotika auch sparsam sein.



Das Gespräch führte Hilde Regeniter.