Angela Merkel trifft beim Kirchentag in Dresden den Ton

Heimspiel bei Protestanten

Der höchste politische Besuch aus Berlin kam spät: Einen Tag vor Abschluss des Evangelischen Kirchentags sprach Angela Merkel vor Hunderten Zuhörern in Dresden. Die Protestanten im Saal standen hinter der Pastorentochter – wollten aber auch Antworten.

Autor/in:
Christoph Schmidt und Birgit Wilke
 (DR)

Der Platz ist eng, als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Samstag zum Kirchentag in Dresden kommt. Bereits um 9 Uhr melden die Veranstalter: "Halle 1 überfüllt". Hunderte Menschen auch davor.  Der ältere Herr, der mit einem großen Schild die CDU auffordert, "wegen unchristlicher Parteilinie das C" aus ihrem Namen zu streichen, steht hier auf ziemlich verlorenem Posten.



Mitten durch die 5.000 Hallenbesucher - Altersdurchschnitt vielleicht Ende 40 - können die Ordner eine Gasse für die Kanzlerin freihalten. Mit Motorrad-Eskorte rauscht sie in ihrer schwarzen Limousine an den Menschen vorbei und wird am Seiteneingang von Halle 1 von Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt empfangen. Zuvor hat bereits Moderator Eckart von Hirschhausen als "Vorgruppe für Frau Merkel", wie er sagt, die Stimmung in der Halle angeheizt.



Und dann erinnert fast alles an eine Wahlkampfveranstaltung vor gewogenem Publikum: Die stehenden Ovationen, die "Angie, Angie"-Rufe und der leicht angespannte, aber selbstsichere Ausdruck im Gesicht der Regierungschefin. Ganz klar: Die Protestanten im Saal stehen hinter der Pastorentochter aus Mecklenburg. Aber sie wollen auch Antworten. Schließlich stand selten ein Kirchentag im Zeichen so vieler Krisen und sich überschlagender Entwicklungen wie das Christentreffen in der Elbestadt: Die Atomkatastrophe von Fukushima, die Wirtschafts- und Finanzkrise, die Bewegungen in der arabischen Welt und der anschwellende Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer fordern die Christen ebenso heraus wie die Politiker.



Flammenden Einstiegs-Plädoyer

Das erste Wort gehört aber einem Mann, der zumindest die Armutsproblematik besser kennen dürfte als die Kanzlerin. John Akyekum Kufuor, von 2001 bis 2009 Präsident Ghanas und Gestalter eines demokratischen Wandels in dem westafrikanischen Land, lobt Merkel eingangs offenbar nicht nur aus Höflichkeit als "Visionärin und herausragende Politikerin". Zufrieden kann er trotzdem nicht sein. Deutschland könne als wirtschaftliches Kraftwerk Europas die EU noch stärker zu Investitionen in Afrika ermutigen. Die eine Milliarde Afrikaner müssten als wertvolle Ressource gesehen werden. Nur wenn alle mit anpackten, könnten vor allem die Länder südlich der Sahara an die globale Entwicklung andocken.



Diese Vorlage nutzt die überzeugte Multilateralistin Merkel mit einem flammenden Einstiegs-Plädoyer für eine intensivere Zusammenarbeit der Staatengemeinschaft. "Wir sind verantwortlich für Gottes Schöpfung." Donnernder Applaus zeigt der Frau, dass sie hier den richtigen Ton getroffen hat. Später wird sie mit einem kräftigen Appell für die Religionsfreiheit der Christen weltweit noch einmal dieselbe Wirkung erzielen. Das war´s dann aber auch mit religiösen Attitüden, denn die Kanzlerin ist vor allem Pragmatikerin.



"Schließlich bin ich nicht allein auf der Welt"

Die Bewältigung der Finanzkrise im Rahmen der G-20 habe bewiesen, dass die Welt zusammenstehen könne, wenn es darauf ankommt. Ethische Fragezeichen hinter die Auswüchse der modernen Geldwirtschaft setzt sie nicht. Mehrfach betont sie aber die Notwendigkeit eines gerechteren Welthandels, kritisiert Handelsbarrieren und subventionierte Landwirtschaft in den Industrieländern. "Aber schließlich bin ich nicht allein auf der Welt."



Das Thema Flüchtlinge geht die Kanzlerin resolut an. Natürlich habe Deutschland die humanitäre Verpflichtung, Migranten aus Krisenländern wie Libyen aufzunehmen. Allerdings suchten die meisten Migranten, darunter vor allem Tunesier, nicht aus Angst vor politischer Verfolgung den Weg nach Europa, sondern in der Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Lebensumstände. "Und da müssen wir schon sagen: Das kann der Weg nicht sein." Auch hiermit hat sie den Saal auf ihrer Seite.



Das gilt umso mehr nach ihrem Bekenntnis zum Atomausstieg - der freilich seinen Preis habe: "Wer Windenergie will, der muss auch bereit sein, dass Hochspannungsleitungen vom Norden in den Süden gebaut werden." Wieder klatschen alle. Nach Merkels umjubeltem Auszug sieht man irgendwo den Mann mit dem Schild gegen das C. Das Interesse hält sich jetzt erst recht in Grenzen. Vielleicht ist der lange Text darauf auch zu klein geschrieben.