Für Kirchentagsbesucher spielt Zeit oft keine Rolle

Zwischen Mitternacht und Morgengrauen

Wenn Frauenkirchenpfarrer Holger Treutmann in diesen Tagen zum Morgengebet auf die Aussichtsplattform in 70 Meter Höhe lädt, stehen die Gläubigen schon seit Stunden Schlange. Auch viele andere Veranstaltungen erfordern einige Geduld.

 (DR)

Mit geschlossenen Augen steht Thomas Froels auf der Aussichtsplattform der Dresdner Frauenkirche. Aufmerksam hört er Frauenkirchenpfarrer Holger Treutmann beim Morgengebet zu. Es ist Freitagmorgen - kurz nach sechs Uhr. Die ersten Sonnenstrahlen scheinen über Dresden und wärmen die Kirchentagsbesucher auf der Plattform. Es ist ruhig, die Stadt scheint noch zu schlafen. Froels wartete fast zwei Stunden, um diesen Moment genießen zu können. Mehr als 65 Personen dürfen nicht auf die knapp 70 Meter hohe Plattform. Bei nur zwei Morgengebeten pro Tag sind das nicht viele.



Am Donnerstag habe er es nicht einmal in die Kirche geschafft. "Ich stand noch hinten bis zur Laterne", sagt er. Und auch an diesem Morgen ist der Andrang groß. Wer erst gegen fünf Uhr ankommt, muss sich schon weit hinten anstellen. Richard Hoffmann war der Schnellste. Um 3.45 Uhr bezog er bereits Posten. Er hat extra ein Foto von sich gemacht, um zu beweisen, dass er als Erster da war. Gut zwei Stunden später stehen mehrere Dutzend Menschen hinter ihm - in einer Schlange ein Stück um die Frauenkirche herum.



Viele Kirchentagsbesucher in Dresden warten mehrere Stunden vor Veranstaltungsbeginn vor den Kirchen auf Einlass. Egal zu welcher Uhrzeit. Sie singen, sitzen auf Papphockern oder spekulieren darüber, ob sie noch reinkommen. So auch am Donnerstagabend um 23 Uhr, als Pfarrer Joachim Zirkler und die Theologin Margot Käßmann zu "Nachtmusik und Nachtgedanken" in die Kreuzkirche einluden. Einige wollten einfach nur die ehemalige Bischöfin sehen, andere hofften, so spät abends nicht mehr anstehen zu müssen. Aber bereits vor 22 Uhr füllten die Menschen den Weg vor dem Haupteingang.



Als die Haupttür sich dann öffnet, ist die Kirche innerhalb von kürzester Zeit gut gefüllt. Es gibt nur noch wenige freie Plätze. Pfarrer Zirkler sagt, dass die Kirche um diese Zeit noch nie so gut besucht gewesen sei. "Aber ich weiß, das liegt nur daran, dass sie die Kreuzkirche noch nicht von innen gesehen haben." Dass die ehemalige Bischöfin sich verspätet, weil sie noch den Segen am Altmarkt erteilen muss, scheint keinen zu stören. Kirchentage setzten jegliche Form von Zeit außer Kraft, erklärt Zirkler. Bis zum Eintreffen der Theologin unterhält das Vocalensemble "in voce veritas" die Besucher.



Als Käßmann dann eintrifft, zeigt sie sich überrascht: "Ich bewundere Kirchentagsmenschen, die auch um 23.23 Uhr noch fit sind." Sie spricht über Frieden, Krieg, Fukushima und die Ölbohrplattform "Deep Water Horizon" spricht, trotz später Stunde hören die Kirchgänger noch zu. Schließlich singen sie der Ex-Bischöfin, kurz nach Mitternacht, auch noch ein Lied zum 53. Geburtstag. "Das werde ich nicht vergessen, in Dresden in der Kreuzkirche ein Geburtstagsständchen zu erhalten", sagt Käßmann anschließend.



Und auch die morgendlichen Frauenkirchgänger werden die Morgenandacht auf der Plattform nicht so schnell vergessen. "Es ist ein Traum, einfach wunderbar", schwärmt Froels. Ihm sei sofort, als er diesen Programmpunkt gesehen habe, klar gewesen, dass er auf die Frauenkirche müsse. Und nach langem Warten hat er es auch geschafft.