Schwarz-gelbe Koalition macht eigene Energiepolitik rückgängig

Atomausstieg bis 2022

Energiewende in Deutschland: Zweieinhalb Monate nach der Atomkatastrophe von Fukushima haben Union und FDP die Abschaltung aller deutschen Kernkraftwerke bis 2022 beschlossen. Damit folgten sie im Wesentlichen der Ethik-Kommission. Kritik kommt von Opposition und Umweltverbänden.

 (DR)

Mit ihrem Beschluss macht die Koalition ihre erst vor sieben Monaten beschlossene Verlängerung der Atomlaufzeiten bis etwa 2040 in einer beispiellosen Kehrtwende wieder rückgängig. Nun will sie die sieben ältesten Atommeiler und den Reaktor Krümmel abgeschaltet lassen. Sechs weitere Reaktoren sollen bis 2021 vom Netz, die modernsten drei Kraftwerke dann bis spätestens 2022. Das entspricht in etwa dem Ausstiegsbeschluss der früheren rot-grünen Bundesregierung vom Jahr 2000, den Schwarz-Gelb gekippt hatte. Die im Herbst eingeführte Brennelementesteuer soll beibehalten werden.



Die Beschlüsse sehen vor, einen der stillgelegten Altmeiler bis 2013 als sogenannte Kaltreserve für eventuelle Engpässe bereit zu halten, um Stromausfälle zu verhindern. Welches Kraftwerk das sein wird, soll die Bundesnetzagentur entscheiden.



"Konsistent, konsequent"

Politiker von Union und FDP lobten ihr eigenes Ergebnis, um das sie fast acht Stunden im Kanzleramt gerungen hatten. "Das Ergebnis ist konsistent und konsequent", sagte Umweltminister Norbert Röttgen. CSU-Chef Horst Seehofer versicherte, diesmal sei der Ausstieg endgültig und unumkehrbar. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle verteidigte im ZDF die Festlegung auf eine Reserve und versicherte, das sei nicht etwa ein Hintertürchen.



Allerdings distanziert sich die Ethik-Kommission, die ihre Empfehlungen für einen neuen Energiekonsens am Montag offiziell präsentierte, die einen Ausstieg bis 2021 und die Stilllegung der acht abgeschalteten Meiler empfiehlt, von dieser "Kaltreserve". Dies sei bewusst nicht in den Abschlussbericht der Kommission aufgenommen worden, sagte deren Vorsitzender Klaus Töpfer.



Er machte zudem deutlich, dass die Empfehlung der Kommission für einen Ausstieg binnen zehn Jahren 2021 und eben nicht 2022 bedeute. Allerdings seien die im Ausland mit großer Aufmerksamkeit betrachteten Beschlüsse in Deutschland so tief greifend, dass Aufregung um sechs Monate hin oder her nicht nachvollziehbar wäre, fügte er hinzu.



Außenminister Guido Westerwelle sagte während seiner Indien-Reise, über die deutschen Beschlüsse gebe es international Gesprächsbedarf. Schließlich sei man "nicht überall auf der Welt" der gleichen Auffassung in der Frage, sagte der FDP-Politiker.



"Hintertüren nicht zu"

Noch während der langwierigen Verhandlungen in der Nacht informierte Merkel SPD und Grüne über deren Stand. Danach äußerte sich die Opposition kritisch vor allem gegen die Idee einer "Kaltreserve". Es sei wenig sinnvoll, ausgerechnet Atomkraftwerke in Bereitschaft zu halten, sagte Gabriel. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin monierte: "Die Hintertüren sind noch nicht zu."



Umweltschützer reagierten noch weit schärfer. Greenpeace warf Merkel Wortbruch vor, weil dies nicht der schnellstmögliche Ausstieg sei. Der Naturschutzbund kritisierte, beschlossen worden sei nur die Rückkehr zum rot-grünen Ausstiegsszenario.



Die Energieversorger als wirtschaftlich Hauptbetroffene reagierten zurückhaltend auf die Pläne der Regierungskoalition. Ein RWE-Sprecher sagte der dapd, vor einer Stellungnahme wolle man die Ergebnisse gründlich analysieren. Ein E.ON-Sprecher äußerte sich ähnlich. Bei EnBW hieß es, der Konzern werde sich zu gegebener Zeit äußern. Vattenfall äußerte sich zunächst nicht.



Daimlerchef Dieter Zetsche kritisierte in der "Bild"-Zeitung, die Bundesregierung habe nach der Atomkatastrophe in Japan innerhalb weniger Tage und sehr emotional entschieden. Von einer guten Regierung wünsche er sich aber, dass sie eine so wichtige Frage sehr genau prüfe.



Verbraucherschützer forderten die Regierung auf, rasch konkrete Pläne für Ersatzkapazitäten vorzulegen. Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, sagte im Deutschlandradio Kultur: "Die schwierige Frage, die liegt noch vor uns." Zu klären sei etwa, wo genau neue Gaskraftwerke gebaut werden sollen.