Mertes neuer Direktor des Kollegs St. Blasien

"Zunächst einmal zuhören"

Zum neuen Schuljahr wird der Jesuit Klaus Mertes Direktor des renommierten Kollegs St. Blasien. Das Gymnasium mit angegliedertem Internat ist eine der bundesweit renommiertesten Privatschulen. Mertes wurde bundesweit bekannt, als er Fälle von Missbrauch am Canisius-Kolleg öffentlich machte.

 (DR)

KNA: Pater Mertes, mit welchen Zielen und Vorstellungen treten Sie zum neuen Schuljahr als Kollegsdirektor an?

Mertes: Ich komme ohne ausgearbeitete Pläne nach St. Blasien. Denn ich will zunächst einmal zuhören und zusehen, wie die Dinge hier liegen. In Pater Siebner hatte ich einen ausgezeichneten Vorgänger, mit dem ich in den vergangenen Jahren sehr viel zusammengearbeitet habe. Also kann ich davon ausgehen, dass vieles, was mir wichtig ist, auch in St. Blasien eine Rolle spielt: nämlich beispielsweise die Grundzüge ignatianischer, schülerorientierter Pädagogik, klare Verfahren, eine gute Zusammenarbeit mit der Mitarbeitervertretung oder auch eine in die religiöses Praxis hineinführende Katechese von Jugendlichen. Ich denke, ich komme an einen Ort, der mir nicht fremd ist. Und wenn ich beim Zuhören und Zusehen dann bei der einen oder anderen Gelegenheit merke, hier kann ich etwas beitragen, dann werde ich das gerne tun.



KNA: Ist die Aufarbeitung der in St. Blasien bekanntgewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs abgeschlossen?

Mertes: Die Taten eines Haupttäters sind, aus meiner Sicht, so weit wie möglich aufgearbeitet. Dann gibt es noch Meldungen über Missbräuche aus den 1950er und 1960er Jahren. Dabei geht es mehrheitlich nicht um sexuelle Übergriffe, sondern um Gewalt und Erniedrigung. Dazu hat es auch einen Sonderbericht der von den Jesuiten beauftragten Anwältin Ursula Raue gegeben. Also ich glaube sagen zu können, dass wir mit der Aufarbeitung in St. Blasien doch sehr weit gekommen sind, so dass jetzt Licht im Dunkel der Vergangenheit ist.



KNA: Wodurch unterscheiden Sie sich von Ihrem Vorgänger Siebner, dem der Wechsel aus dem Schwarzwald nach Bonn, als Leiter der dritten deutschen Jesuitenschule, dem Aloisiuskolleg, nicht gerade leichtgefallen ist?

Mertes: Wir sind Freunde. Manche sagen auch, wir seien sehr ähnlich. Er hat eine berliner, ich eine rheinische Klappe. Ich bin nicht so sehr fußball-, aber dafür klassikmusikbegeistert. Und während Pater Siebner in St. Blasien ja als eher junger Kollegsleiter angetreten ist, fange ich nun eher schon ein wenig bejahrter an.



KNA: Glauben Sie, dass das Konzept einer Jesuitenschule mit Internat in Schwarzwälder Abgeschiedenheit heute noch eine Zukunft hat?

Mertes: Natürlich, ja! Die Nachfrage und Anmeldezahlen sind ja sehr hoch. Beim Thema Internat muss ich sicher noch einiges lernen. Aber die Internatsschule besitzt für viele Jugendliche heute wieder eine große Attraktivität.



KNA: Was fasziniert Sie an Ihrer neuen Aufgabe?

Mertes: Vor allem das Internat. Das gibt es an meiner bisherigen Schule, dem Berliner Canisius-Kolleg, ja nicht. Auch wenn in den vergangenen Monaten die Debatten um Missbrauchsfälle die Institution Heim und Internat in Misskredit gebracht haben, bin ich doch davon überzeugt, dass beide Einrichtungen aus vielen Gründen unersetzbar sind. Es wäre ohnehin eine suizidale und irrationale Form von Missbrauchsprävention, wenn man Institutionen wie Internate, Heime und Vereine oder gar Familie einfach abschaffen würde, um sich dann hinstellen und sagen zu können, es gäbe jetzt keinen Missbrauch mehr, weil es diese Institutionen nicht mehr gibt. Zum zweiten freue ich mich, dass es in St. Blasien diesen faszinierenden Dom gibt. Das ist eine tolle Möglichkeit für unsere Schule! In Berlin haben wir die Gottesdienste oft in der Turnhalle gefeiert.



Das Gespräch führten Birgit Wilke und Volker Hasenauer.



Zur Person: Klaus Mertes wurde bundesweit bekannt, als er im Januar 2010 Fälle von Missbrauch und Misshandlung in den 1970er und 1980er Jahren am Canisius-Kolleg öffentlich machte. Dies führte zur Aufdeckung weiterer Taten auch an anderen Schulen und löste eine bundesweite Debatte um Missbrauch durch Pädagogen und Geistliche aus. Mertes wurde 1954 als Sohn einer Diplomatenfamilie in Bonn geboren. Nach dem Besuch des Jesuitengymnasiums Aloisiuskolleg in Bonn-Bad Godesberg studierte er Slawistik und Klassische Philologie. Mit 23 Jahren trat er in Münster in den Jesuitenorden ein und schloss Studien der Theologie und Philosophie an. 1986 wurde er zum Priester geweiht.