Norbert Blüm appelliert an Bischöfe

"Arbeit braucht Anerkennung"

Auch über das Ende seiner aktiven Politiker-Karriere engagiert sich Norbert Blüm für sein erklärtes Lebensthema: ehrliche Arbeit. Im domradio.de-Interview ruft der ehemalige Arbeitsminister hier auch die Kirchen zu stärkerem Einsatz auf. Denn unsichere Arbeitsverhältnisse ruinierten Familien.

 (DR)

domradio.de: Sie haben vor kurzem eine Renaissance der ehrlichen Arbeit gefordert. Was verstehen Sie darunter?

Norbert Blüm: Arbeit muss ordentlich entlohnt werden. Arbeit muss anerkannt werden, Arbeiter dürfen nicht behandelt werden wie Ersatzteile. Es geht um eine neue Achtung für die Arbeit.



domradio.de: Haben wir in Deutschland inzwischen den Blick für die "ehrliche Arbeit" verloren?

Blüm: Du kannst mit Geld mehr verdienen als mit Arbeit. Das ist der erste Fehler. Du kannst beim Verkauf von Firmen mehr verdienen, als wenn Du in Firmen produzierst. Porsche beispielsweise hat mehr Gewinn als Umsatz - da zeigt sich die ganze Verrücktheit: Die Finanzgeschäfte bringen das Geld, und die, die sich auf dem Finanzmarkt tummeln, sind die neuen Könige. Deutsche Bank: Rendite 25 Prozent auf Eigenkapital. Kennen Sie einen Handwerksmeister oder eine Industriefirma, die 25 Prozent Rendite haben? Das Geld dominiert die Wirtschaft, eine aufgeblähte, hochstaplerische Finanzwirtschaft. 99 Prozent der den Erdkreis umrundenden Dollar-Billionen haben mit Arbeit, Sachgütern und Wertschöpfung überhaupt nichts. Reine heiße Luft!



domradio.de: Das Ende für ehrliche Arbeit...

Blüm: Wohlstand hängt von der Arbeit ab. Sehen Sie mal, wie sich die Arbeitsverhältnisse ändern: 54 Prozent der Unter-25jährigen Arbeitnehmer haben keinen regulären Arbeitsvertrag. Die sind entweder befristet beschäftigt, als Leiharbeiter oder Praktikant. Sie haben kein geregeltes, auf Dauer sicheres Arbeitsverhältnis. Von der Hand in dem Mund. Wie sollen junge Frauen und Männer eine Ehe gründen, wenn sie kein sicheres Einkommen haben. Vielleicht kümmern sich die Bischöfe auch mal um die Arbeitsverhältnisse - denn die ruinieren die Familien. Jede achte Ehe in Deutschland lebt in einer Fernbeziehung, dank Flexibilisierung, dank Mobilisierung. Das ist die Auflösung von jeder festen Bindung.



domradio.de: Vor kurzem ist Ihr Buch mit dem Titel "Ehrliche Arbeit" erschienen, in dem Sie unsere Wirtschaftswelt analysieren und auch kritisieren. Was war der Anlass, dieses Buch zu schreiben? Gerade jetzt, wo es wirtschaftlich bergauf geht...

Blüm: Was nennen Sie wirtschaftlich bergauf? Wirtschaft bestehet nicht nur aus Sozialproduktzahlen, Beschäftigtenzahlen, besteht auch aus anständiger Arbeit. Nehmen wir die Leiharbeitsverhältnisse: Jeder neunte Leiharbeiter ist auf Hartz IV angewiesen, der kann von der Arbeit nicht leben und kann seine Familie nicht ernähren - obwohl er arbeitet. Wenn das Aufschwung ist - meiner ist das nicht. Zu meinem Aufschwung gehören solide Arbeitsverhältnisse. Die Leiharbeit hat inzwischen die Millionengrenze erreicht. Und sie dient keineswegs - wie das früher mal gedacht war - zum Abfangen von Produktionsspitzen. Sie wird strategisch eingesetzt, um die Stammbelegschaft zu minimieren und die Löhne zu drücken. So haben wir nicht gewettet. Arbeit braucht Anerkennung! Wie hat der BDI-Präsident Rogowski gesagt: Das wäre wie im Schweinezyklus. Wenn es viele Schweine gibt, ist der Schweinepreis niedrig. Wenn es wenige gibt, steigt er. Ja, wenn das das Motto ist, haben wie verwechselt, dass Arbeitnehmer keine Schweine sind.



Das Gespräch führte Aurelia Plieschke.



Hinweis: Norbert Blüm wird am Mittwochabend in der Kölner Christuskirche einen Vortrag halten und dort auch aus seinem aktuellen Buch "Ehrliche Arbeit" vorlesen, das im Gütersloher Verlagshaus erschienen ist und 19.99 Euro kostet. Beginn des Vortrages heute Abend ist um 19.30 Uhr und der Eintritt kostet an der Abendkasse 12 Euro.