Bischof Fürst würdigt römisches Dokument zu den Medien

"Die Vision bleibt gültig"

Am Montag vor 40 Jahren wurde die römische Instruktion "Communio et Progressio" veröffentlicht, in der sich die katholische Kirche mit der Rolle der Medien auseinandersetzt. Seit damals hat sich viel getan, sagt der deutsche Medienbischof Gebhard Fürst.

 (DR)

KNA: Herr Bischof Fürst, am 23. Mai 1971, vor 40 Jahren, veröffentlichte der Vatikan die Pastoralinstruktion "Communio et Progressio", in der die katholische Kirche ihre Sicht auf die Medien darlegt. Was waren die Gründe für Papst Paul VI., ein solches Papier zu verfassen?

Gebhard Fürst: Ich erkenne in der Pastoralinstruktion "Communio et Progressio" die oft verkannte Intention Papst Pauls VI., die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in das konkrete Leben der Kirche hinein fortzuschreiben und sie darin umzusetzen. Wenn man von zeitbedingten Wertungen und von der spezifischen Sprache solcher Dokumente abzusehen vermag, dann zeigt sich hier eine eindeutig positive Wertschätzung moderner Gesellschaften und ihrer Lebensäußerungen, hier besonders der modernen medialen Kommunikation - und zwar nicht einfach im Sinne eines pragmatischen Realismus, sondern theologisch und heilsgeschichtlich begründet.



KNA: Die Bischofskonferenzen wurden damals aufgerufen, die Instruktion umzusetzen. Welche Folgen hatte das und was bedeutet es heute?

Fürst: Dass sich in den Ortskirchen weltweit die Einstellung zu öffentlicher Kommunikation und zu den Medien in den 40 Jahren seit Erscheinen von "Communio et Progressio" entscheidend verändert hat, steht völlig außer Frage. Sicher ist diese Instruktion dafür nicht die einzige Ursache, so wichtig sie ist. Aber sie liegt in der Konsequenz des Geistes und der Dokumente des Zweiten Vatikanum, worin sich die Kirche explizit aus ihrer Verschlossenheit und ihrem Misstrauen gegenüber der Moderne befreit und einen positiven Zugang zu dieser gewonnen hat.

Seit dieser Zeit haben sich die Medienarbeit der katholischen Kirche und auch ihre Kommunikation mit öffentlich-rechtlichen und privaten Medien in einer Weise entwickelt und intensiviert, die in den 1950er Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Gerade in meiner Diözese stehen Namen wie der des Konzilsbischofs Dr. Carl-Joseph Leiprecht und seines Nachfolgers Dr. Georg Moser geradezu programmatisch für die Qualifikation "Medienbischof", und ich selbst stehe gerne und mit Überzeugung in dieser Tradition. Heute sehe ich eher wieder Misstrauen wachsen - auf Seiten der Kirche wie auf Seiten der Medien -, und ich würde mir wünschen, dass trotz mancher berechtigter Kritik der Geist der Wertschätzung im Interesse einer gemeinsamen Verantwortung für die Gesellschaft wieder stärker würde.



KNA: Soziale Kommunikationsmittel, also die Medien, werden in dem Dokument aus heutiger Sicht an manchen Stellen fast etwas naiv gewürdigt - beispielsweise als "Geschenke Gottes". Medien vermittelten "ein Bild des Lebens in der heutigen Welt und öffnen Geist und Sinn für die gegenwärtige Zeit". Gilt das? Auch für "Big Brother" und die Suche nach Superstars?

Fürst: "Communio et Progressio" huldigt nicht einfach den modernen Medien, sondern übt auch deutliche Kritik am Missbrauch medialer Mittel und medialer Macht. Dass man die heutigen Auswüchse damals schon hätte ahnen können, ist eher unwahrscheinlich. Es ist auch nicht gerecht, im Horizont heutiger Erfahrungen Aussagen zu bewerten, auf die man damals mit Recht stolz sein konnte. Noch einmal: Nie zuvor gab es eine so positive Wertschätzung der Medienarbeit und der Medienschaffenden, eine so hohe und respektvolle Anerkennung der in diesen Berufen vorhandenen Kompetenz, eine so deutliche Forderung nach kooperativer gesellschaftlicher und weltweiter Verantwortung von Kirchen und Medien wie in dieser Instruktion Papst Pauls VI. Die so oft verdächtigte Kommunikationsarbeit der Medienschaffenden in einen inneren Zusammenhang mit der Kommunikation, mit der Selbstoffenbarung des Dreieinigen Gottes zu bringen - das ist doch eine sehr weit und sehr mutig ausgestreckte Hand und ein sehr eindeutiges Bekenntnis zur sakramentalen Tiefendimension menschlichen Lebens und Handelns.



KNA: Wäre ein neues vatikanisches Medienpapier sinnvoll und mit was müsste es sich befassen?

Fürst: Ich möchte bei den heutigen Fragestellungen beginnen. "Communio et Progressio" ist von der Vision geleitet, soziale Kommunikation trage zur stärkeren Gemeinsamkeit der Menschheitsfamilie bei. Das bleibt als Vision gültig. Der Beitrag der Medien, besonders auch des Internet und der sozialen Netzwerke, dazu, dass Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen international mehr Aufmerksamkeit erfahren, dass Demokratiebestrebungen unterstützt werden - er ist unbestreitbar. Unbestreitbar ist allerdings auch, dass die heutige Medienwelt sehr viel zur Entwürdigung von Menschen, zur geistigen und moralischen Desorientierung, zur Zersplitterung der Gesellschaft, zu einer existenziell kaum mehr zu bewältigenden Unübersichtlichkeit beitragen. Und unbestreitbar bleibt dabei dennoch, dass sie nach wie vor auch einen unverzichtbaren Beitrag zur Kultur demokratischer Gemeinwesen beitragen.

Die chaotische Grenzenlosigkeit des Worldwide Web, die völlig neuen Vergemeinschaftungspotenziale der Social Networks, die Chancen und die Gefahren, die darin stecken: All das müssen wir heute mit hoher Kompetenz beobachten, mitzugestalten versuchen, in unseren Auftrag der "Heiligung der Welt" - auch dies eine Intention des Zweiten Vatikanischen Konzils - in einer für die säkulare Gesellschaft "anschlussfähigen" Weise zu integrieren versuchen. Ich glaube, dass hier sehr viel im Rahmen der gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte der einzelnen Länder und Regionen geschehen muss. Ob ein zentrales vatikanisches Dokument dazu derzeit vonnöten ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Wohl aber wäre es wichtig und dankenswert, dass wir in unseren Bemühungen um einen Dialog mit den Menschen in der modernen und postmodernen Welt ermutigt und unterstützt würden.



Das Gespräch führte Michael Jacquemain.