Laut einer Studie ist bei den Linken Antisemitismus auf dem Vormarsch

Gefährliches Gewicht

Antisemitismus und Israelfeindlichkeit gewinnen gefährlich an Gewicht, sagt eine aktuelle Studie. Das seien "Strömungen aus guten, alten DDR-Tagen", kommentiert gegenüber domradio.de der Autor Henryk M. Broder. Alles falsch, bestreitet Fraktionschef Gregor Gysi. Der neueste Streit um die Linkspartei ist im vollen Gange.

Autor/in:
Holger Mehlig
 (DR)

Die Spitze der Linken hat den in einer Studie erhobenen Vorwurf eines wachsenden Antisemitismus in der Partei entschieden zurückgewiesen. Fraktionschef Gregor Gysi bezeichnete die Behauptungen am Donnerstag als Blödsinn, der Parteivorsitzende Klaus Ernst erklärte, man zeige gegen Antisemitismus klare Kante. Der thüringische Fraktionschef der Linken, Bodo Ramelow, räumte allerdings ein, es gebe in der Partei einige, "die als Brandstifter unterwegs sind".



Die "Frankfurter Rundschau" hatte über eine noch unveröffentlichte Studie berichtet, nach der in der Linkspartei Antisemitismus und Israelfeindlichkeit gefährlich an Gewicht gewönnen. Israel- und judenfeindliche Positionen würden "innerparteilich immer dominanter", Kritiker hingegen sähen sich "zunehmend isoliert", werden die beiden Autoren, der Sozialwissenschaftler und Antisemitismusexperte Samuel Salzborn von der Universität Gießen und Sebastian Voigt von der Universität Leipzig zitiert. Im parlamentarischen Spektrum der Linken habe sich inzwischen eine Kraft etabliert, "die (...) antisemitische Positionen in ihren Reihen toleriert".



Gysi und Ernst wehren sich

Gysi sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" (Freitagausgabe): "Die in der Studie aufgestellten Behauptungen sind schlicht Blödsinn." Kritik an der Politik der israelischen Regierung sei kein Antisemitismus, wenn auch klar sei, dass man in Deutschland gerade vor dem Hintergrund der Geschichte sehr genau formulieren müsse. Boykottaufrufe gegen in Israel produzierte Waren kämen schon deshalb nicht infrage.



Auch Ernst wehrte sich gegen den Vorwurf, seine Partei handele nicht entschlossen genug gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit in den eigenen Reihen. "Wir brauchen keine Belehrungen von außen. Wir haben uns mehrmals klar positioniert. Gegen Antisemitismus zeigen wir klare Kante", sagte Ernst der "Westfälischen Rundschau" (Freitagausgabe). "Wir gehen dagegen im Einzelfall hart vor." Derartiges Gedankengut habe in der Linken genauso wie faschistische Tendenzen keinen Platz.



Ramelow und Liebich fordern mehr Engagement

Dagegen empfahl Ramelow seiner Partei, sich nachhaltiger von Ressentiments abzugrenzen, "die auch nur den leisesten Zweifel an der Existenzberechtigung des Staates Israel verbreiten". Die Linke als Partei dürfe in der Nahost-Debatte "nie Teil des Problems sein, sondern immer nur Teil der Lösung", sagte er der Zeitung.



Auch der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei, Stefan Liebich, forderte in der "Frankfurter Rundschau" deutlich mehr Engagement der Parteiführung gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen: "Ich wünsche mir, dass sich die Spitzen von Partei und Fraktion schneller von solchen Dingen distanzieren."



Autor: Keine Einzelfälle

Einer der Autoren der Studie, Salzborn, erklärte in der "Westfälischen Rundschau": "Wir haben es in der Linkspartei nicht mit Einzelfällen zu tun. Es gibt große Entwicklungslinien bei Parlamentariern, die eine Umorientierung im Verhältnis zu Israel anstreben." Man gewinne den Eindruck, dass der Parteiführung die Entwicklung mindestens gleichgültig sei, wenn sie sie nicht sogar still toleriere.