Christliche Werte zählen - Kirche schreckt im Osten aber eher ab

Innerdeutsche Glaubensgrenze

Einig Deutschland, aber nicht im Glauben. Deutliche Unterschiede bei der Gottesfrage in alten und neuen Bundesländern hat jetzt eine vom MDR in Auftrag gegebene Studie ergeben. Im domradio.de-Interview erläutert MDR-Kirchenredaktionsleiterin Susanne Sturm die Ergebnisse. Interesse an Glaubensfragen bestehe, berichtet sie aus eigener Erfahrung, allerdings schrecke Kirche als Institution im Programm eher ab.

 (DR)

domradio.de: Warum haben Sie die Umfrage überhaupt in Auftrag gegeben?

Sturm: Wir erwarten  den Kirchentag in Dresden. In der Stadt sind die Christen eine Minderheit und da war die Frage, wie geht denn das, wenn Hunderttausend Christen aus Deutschland, aus der Welt in die Stadt kommen? Verträgt sich das? Und im Herbst erwarten wir den Papst in Thüringen und auch da kam die Frage, wer erwartet ihn denn? Wer freut sich darüber? Wie wird er aufgenommen? Und wir sind im Jahr 20 nach der Einheit und dann haben wir uns gefragt, gibt es eine Annäherung zwischen Ost und West in Glaubensdingen.

domradio.de: Gibt es denn eine Annäherung?

Sturm: Es ist immer noch so, dass im Westen mehr Menschen glauben und im Osten weniger. Also konkret auf die Frage "Glauben Sie an einen Gott?" sind es etwa zwei Drittel, die im Westen diese Frage mit "ja" beantworten und zwei Drittel, die im Osten sagen "nein". Daran hat sich in zwanzig Jahren nicht viel geändert. Diese Verhältnisse sind stabil geblieben. Aber wenn man dann genauer hinschaut, wenn man mit Menschen spricht - das geht jetzt über die Umfrage hinaus- wenn im Westen geantwortet wird "ja, wir glauben an Gott", dann ist das oft nicht unbedingt der Gott, der von den Kirchen verkündet wird bzw. da schleichen sich dann mehr Zweifel ein. Umgekehrt, wenn im  Osten Menschen  antworten "nein, wir glauben nicht, wir sind Atheisten", dann stellt sich im Gespräch oft heraus "wir glauben aber an ein Weiterleben der Seele" und "wir glauben, dass es eine Macht gibt, die mich hält" oder jemand erzählt, dass er sich bei einem Stoßgebet ertappt. Das heißt, die Frage "glauben Sie an Gott?" ist vielleicht etwas unpräzise und da verbindet jeder Antwortende etwas ganz unterschiedliches.

domradio.de: Sie haben auch danach gefragt, ob den Menschen in Ost und West christliche Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit wichtig sind. Sind solche Werte heute noch wichtig?

Sturm: Sehr. Und da wiederrum gibt es eine große Ähnlichkeit zwischen Ost und West, unabhängig davon, ob ich einer Konfession angehöre, einer Kirche angehöre. Da kann man sagen, dass in West und Ost über 40 Prozent - im Westen 46 Prozent, im Osten 43 Prozent - sagen, mir sind christliche Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit wichtig und wenn man unabhängig von der Zahlung der Kirchensteuer schaut, dann kommt man in beiden Landesteilen auf 90 Prozent, die sagen, ich finde Nächstenliebe wichtig.

domradio.de: Sie haben auch untersucht, ob es spürbar ist, wenn in einer Stadt mehr Christen leben oder nicht. Was ist denn da herausgekommen?

Sturm: "Untersucht"  ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir haben uns im Vorfeld des Kirchentages spielerisch die Frage gestellt, merkt man das eigentlich und woran merkt man das eigentlich, kann man die religiöse Gefühlslage einer Stadt wittern? Wir haben eine Reporterin aus unserem Sendegebiet nach Stuttgart geschickt, weil Stuttgart den übernächsten Kirchentag ausrichten wird und aus Westdeutschland kam ein Reporter zu uns nach Dresden und beide hatten die Aufgabe an verschiedenen Stellen mit Menschen zu sprechen, nachzufragen und zu schauen, wo spielt in dieser Stadt Glaube eine Rolle. Und das Ergebnis deckte sich in gewisser Weise auch mit der Untersuchung. Sie haben sehr viele Menschen im Westen getroffen, die sagen, mir ist Kirche wichtig, ich gehöre dazu und ich lasse mein Kind taufen, die dann aber beim Nachfragen sagten, ja, ich glaube auch mehr noch an Engel oder an Sterne. Das war dann auch manchmal ein sehr individuelles Glaubensspektrum. Während im Osten, die meisten Begegnungen, die dort der Westdeutsche hatte, sagten, "nein, wir sind schon lange nicht mehr in der Kirche und meine Eltern nicht und ich bin Atheistin", die dann aber davon überzeugt waren, dass sie aufgehoben sind oder dass es mit dem Tod nicht alles vorbei ist. Das gilt nicht für jeden Befragten, aber es stellte sich doch heraus, dass wenn man genauer hinhört, dass es sehr individuell ist.

domradio.de: Merken Sie zum Beispiel auch an Einschaltquoten kirchlicher Programm, wie es um Kirche und Glaube steht? 

Sturm: Offensichtlich gibt es auch ein Interesse an Religion und an Glaubensfragen. Wir hatten oft den Eindruck, je deutlicher im Titel Kirche vorkommt, Kirche als Institution, desto schwieriger haben wir es hier im Sendegebiet. Es gibt da offensichtlich so eine Befürchtung, man wird jetzt missioniert und es mag sein, dass die Menschen sagen, weltanschauliche Beeinflussung hatten wir, das möchten wir nicht mehr. Wir gehören nicht zur Kirche, Programme, wo es um Kirche geht, gehen mich nichts an. So wurde mir das gesagt, so deute ich das. Wenn es aber um Fragen geht, wie gestalte ich mein Leben, was wird von mir erwartet z.B. soll ich einem Bettler Geld geben,  wie wichtig ist mir Treue, eheliche Treue, welche Rolle soll Geld in meinem Leben spielen, im weitesten Sinne Wertefragen, Orientierungsfragen, dann gibt es da schon eine Neugierde, eine Bereitschaft sich da auf Filme einzulassen. Bei Gottesdienstübertragungen ist es zum Beispiel so, die erreichen nicht die Einschaltquoten wie im bayerischen Sendegebiet oder im Südwesten, das ist ganz klar, die werden von einer Minderheit geschaut.

domradio.de: Sie haben Fragen gestellt im Vorfeld des Evangelischen Kirchentags, der Anfang Juni in Dresden beginnt, was hat sie denn am meisten erstaunt in der Studie?

Sturm: Wir haben gefragt, ob der Einfluss der Kirchen auf Gesellschaft und Politik angemessen ist, ob der zu hoch ist oder zu gering ist. Das ist gelegentlich auch eine Frage: wer bezahlt den Kirchentag oder haben die Kirchen zu viel Einfluss in Schulen... Ich muss sagen, was mich hier überrascht hat, war, dass katholische Christen zu 37 Prozent weniger Einfluss ihrer Kirche wünschten, während die Menschen, die keiner Glaubensgemeinschaft angehörten, wünschten sich immerhin sieben Prozent mehr Einfluss und 34 Prozent der Menschen, die keiner Glaubensgemeinschaften angehörten, sagten, der Einfluss ist gerade richtig. Also wenn man so will, 40 Prozent der Nichtchristen sagten, nein, der Einfluss von Kirche ist in Ordnung und fast 40 Prozent der Katholiken sagten, nein, Kirche sollte ein bisschen weniger Einfluss haben. Bei den Protestanten war es relativ ausgeglichen.