Dutroux-Komplizin soll in französischem Kloster unterkommen

Wie weit geht die Gastfreundschaft?

Michelle Martin, Ex-Frau und Komplizin des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux, hat zwei Mädchen in einem Kellerversteck verhungern lassen. Von einem belgischen Gericht wurde sie dafür 2004 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Nun soll sie wegen guter Führung vorzeitig entlassen werden - und in einem französischen Kloster psychologisch betreut werden.

Autor/in:
Inga Kilian
 (DR)

Der Fall sorgt nicht nur in Belgien für Schlagzeilen und wirft die Frage auf, wie weit die Gastfreundschaft eines Klosters geht. Belgischen Medienberichten zufolge soll Martin nicht nur aufgrund der Abgeschiedenheit in einem Kloster untergebracht werden. Während ihrer Haft habe die Ex-Frau von Dutroux, die früher zu den Zeugen Jehovas gehörte, "zum Glauben gefunden", heißt es. Der belgische Fernsehsender RTL zitierte eine Gefängnisseelsorgerin mit einer entsprechenden Aussage. Ein Anwalt der Dutroux-Komplizin sagte, Martin bereite sich seit Jahren auf ihre Freilassung vor. Der jetzt akzeptierte Antrag auf vorzeitige Haftentlassung war schon ihr vierter.



Die Frage, ob ein Kloster sich dazu bereiterklärt, Martin nach ihrer Haftentlassung aufzunehmen, darf sich nach Ansicht des Frankfurter Kapuzinerbruders Paulus Terwitte gar nicht erst stellen. Er sieht darin eine Selbstverständlichkeit. "Die Gastfreundschaft eines Klosters wird jedem gewährt, unabhängig von seinem Ansehen oder seiner Vergangenheit", betont er. Klöster seien Schutzräume, die jedem Menschen offen stehen müssten. "Wenn man als Christ denkt, muss man im Zweifel sogar bereit sein, Gesetze zu übertreten, etwa um Asyl zu gewähren", sagt er.



Kloster muss Straftäter nicht aufnehmen

"Wenn jemand an meine Klosterpforte klopft und sagt, ich bin ein Verbrecher, ein Sexualstraftäter und Mörder und mir einen ordentlichen Haftentlassungsschein vorlegt, dann heiße ich ihn natürlich willkommen", sagt Bruder Paulus. Sobald ein Mensch wild entschlossen sei, sein Leben ändern zu wollen, müsse er die Chance dazu auch bekommen. So gehöre es etwa zur Gründungsgeschichte der Ordensgemeinschaft der Dominikanerinnen von Bethanien, auch ehemalige Straftäterinnen aufzunehmen. "Ich glaube daran, dass jeder Mensch neu beginnen kann", betont Terwitte.



Kein Kloster sei jedoch zur Aufnahme von Straftätern, die ihre Haft verbüßt haben, verpflichtet, erklärt der Sprecher der deutschen Ordensobernkonferenz (DOK), Arnulf Salmen. Es gebe keine ordensübergreifende Richtlinie, die das Verhalten in einem solchen Fall vorschreibe. "Ebenso wenig existiert jedoch eine festgeschriebene ethische oder moralische Grenze, die den Aufenthalt im Kloster für bestimmte Menschen unmöglich macht", erklärt er. Vielmehr sei es eine Ermessensentscheidung der einzelnen Ordensgemeinschaft und im Zweifel auch des jeweiligen Klosters, ob sie bereit sind, ehemalige Verbrecher aufzunehmen. "Man wird Gespräche mit dem jeweiligen Kloster führen und klare Absprachen treffen müssen", meint er.



Und falls, wie lange?

Sollte Martin wirklich in einem französischen Kloster unterkommen, dürfe die dortige Ordensgemeinschaft nicht mit der Situation alleine gelassen werden, betont Salmen. "Es muss ganz klar sein, wie lange bleibt diese Frau, warum will sie hier im Kloster leben, braucht sie eine Begleitung?". Zwar sei Gastfreundschaft ein fester Bestandteil der Spiritualität vieler Ordensgemeinschaften. In Einzelfällen wie dem von Michelle Martin müssten letztendlich jedoch die im Kloster lebenden Schwestern und Brüder für sich entscheiden, ob sie sich das Zusammenleben zutrauen.



Bislang ist allerdings noch unklar, ob Frankreich die 51-Jährige überhaupt aufnehmen wird. Der französische Justizminister Michel Mercier kündigte an, einen entsprechenden Antrag Belgiens nicht befürworten zu wollen. Bereits die Unterbringung des wegen Kindesmissbrauchs zurückgetretenen belgischen Bischofs Roger Vangheluwe in einem Kloster in der Loire-Region in Frankreich war in der Öffentlichkeit vielfach kritisiert worden.