Der Freitod von Gunter Sachs sorgt weiter für Diskussionen

Nach dem Ende

Der Freitod des Künstlers und Industriellenerbes Gunter Sachs am Wochenende rüttelt an einem Tabuthema der modernen Gesellschaft: dem Umgang mit Krankheit, Alter und Tod. Und er wirft die Frage auf, ob der Mensche seinem Leben ein Ende setzen darf. Schließlich galt im Christentum ein solcher Schritt lange Zeit als kapitales Verbrechen.

 (DR)

"Der Verlust der geistigen Kontrolle über mein Leben wäre ein würdeloser Zustand, dem ich mich entschlossen habe, entschieden entgegenzutreten." Es sind Worte, die nach Tatkraft in einer aussichtslos erscheinenden Lage klingen sollen. Und die doch - zumindest zwischen den Zeilen - die Not des Verfassers erahnen lassen. Geschrieben hat sie der Künstler und Industriellenerbe Gunter Sachs - bevor er sich am vergangenen Wochenende im Alter von 78 Jahren erschoss.



Natürlich ist da der Gegensatz zwischen dem schillernden Image des Lebemanns, mit dem Sachs seit den 1960er-Jahren spielte, und dem radikalen Entschluss, seinem Dasein mit eigener Hand ein Ende zu setzen. Aber zugleich, so scheint es, rüttelt die Tat von Sachs an einem Tabuthema der modernen Gesellschaft: dem Umgang mit Krankheit, Alter und Tod. Sachs litt offenbar an Alzheimer. Der drohende Verlust seiner geistigen Fähigkeiten, soviel geht aus seinem Abschiedsbrief hervor, galt ihm "schon immer als einziges Kriterium, meinem Leben ein Ende zu setzen".



"Lebenswertes Leben" auch mit Demenz möglich

Eine Haltung, der Patientenorganisationen wie die Deutsche Alzheimer Gesellschaft mit Öffentlichkeitsarbeit und Therapieangeboten entgegentreten wollen. Natürlich sei die Diagnose Alzheimer ein Schock und löse tiefe Ängste bei den Betroffenen und ihren Familien aus, betont die Vorsitzende Heike von Lützau-Hohlbein. Aber Erfahrungen etwa in Selbsthilfegruppen zeigten, dass auch mit Demenz ein "lebenswertes Leben" möglich sei. Warum aber greifen trotzdem manche Ältere und Kranke zu dem letzten aller denkbaren Mittel, der Selbsttötung?



Für den Stuttgarter Psychotherapeuten Hans Wedler ist Sachs kein Einzelfall. Der Herausgeber der Zeitschrift "Suizidprophylaxe" der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention verweist auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Demnach liegen die Suizidraten bei älteren Menschen um circa 60 Prozent über denen der Gesamtbevölkerung. Gab es im Jahr 2009 unter der Gesamtbevölkerung knapp 12 Suizide pro 100.000 Einwohner, stieg dieser Wert bei den über 60-Jährigen auf 18,6. Auch wenn die Gründe für einen Freitod höchst unterschiedlich seien, führt der Experte das Phänomen auf einen tiefgreifenden Wandel in nahezu allen Lebensbereichen zurück.



So steige der Anteil von alten Menschen kontinuierlich, was mit einer Zunahme von Demenz- und anderen schweren Krankheiten einhergehe. Zugleich böten sich Medizinern immer mehr Möglichkeiten, den Sterbevorgang hinauszuzögern. Das löse oft eher Angst statt Zuversicht aus. Hinzu komme: Bei vielen Zeitgenossen stehe inzwischen die Wahrung der persönlichen Freiheit höher im Kurs als die soziale Fürsorgepflicht. Wer alt und schwer krank ist, fürchtet nicht nur einen Kontrollverlust, sondern empfindet sich unter Umständen als Last für seine Umgebung.



Im Christentum untersagt, aber nicht mehr uneingeschränkt verurteilt

Neu sind auch die Möglichkeiten, die sich Suizidgefährdeten bieten, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Wedler nennt in diesem Zusammenhang den Sterbehilfetourismus in die Schweiz. Der Berliner Journalist Wolfgang Prosinger schätzt in seinem Buch "Tanner geht", dass die beiden dort tätigen Vereine "Exit" und "Dignitas" allein zwischen 1998 und 2007 bei über 2.000 Menschen die in Deutschland verbotene aktive Sterbehilfe geleistet haben. Im vergangenen Herbst sorgte das Industriellen-Ehepaar Eberhard und Helga von Brauchitsch, beide 83 Jahre alt, für Schlagzeilen, weil sie Berichten zufolge mit Hilfe von "Exit" aus dem Leben schieden.



Im Christentum galt ein solcher Schritt lange Zeit als kapitales Verbrechen, als "Selbstmord". Heute fällt das Urteil weniger harsch aus, wie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, betont. Die Frage laute vielmehr: "Wo haben wir es nicht geschafft, ihn oder sie zu halten?" Mit öffentlichkeitswirksamen Initiativen wie der "Woche für das Leben" versuchen evangelische und katholische Kirche, darauf Antworten zu finden.



Die Frage der Zurechnungsfähigkeit

Im aktuell gültigen Erwachsenenkatechismus der Katholischen Kirche wird die Selbsttötung dennoch unmissverständlich verurteilt: "Bewußte und freiwillige Selbsttötung, auch wenn sie aus hohen Motiven geschieht, ist sittlich nicht gerechtfertigt. Frei gewollte Selbsttötung, durch die jemand bewußt seine Autonomie dokumentieren will, ist ihrer ganzen Natur nach eine Absage an das Ja Gottes zum Menschen. Sie ist auch eine Verneinung der Liebe zu sich selbst, zum natürlichen Streben nach Leben und zur Verpflichtung der Gerechtigkeit und Liebe gegen den Nächsten und gegen die Gemeinschaft."



In der pastoralen Praxis wurde deshalb in früherer Zeit Menschen, die sich das Leben genommen hatten, die kirchliche Beisetzung verweigert. In das neue Rechtsbuch der Katholischen Kirche (CIC) ist diese Anordnung jedoch nicht mehr aufgenommen worden, weil sich nicht nachweisen lässt, ob jemand in der Selbsttötung wirklich ein letztes Nein zu sich selbst und zu Gott gesprochen hat und weil die Kirche zwar die Sünde des Selbstmordes verurteilt, nicht aber den Menschen, von dem nicht sicher ist, ob er wirklich ein Selbstmörder ist. Deshalb, so der Katechismus, dürfe "jemandem, der sich das Leben genommen oder den Versuch dazu unternommen hat, nicht von vornherein die volle Verantwortung für sein Tun zugeschrieben werden."