Ökumene-Bischof Müller zum Papstbesuch im Land Martin Luthers

"Schwierige Themen nicht aussparen"

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller hat eine vertiefte Auseinandersetzung von Katholiken und Protestanten mit ihren Trennungsgründen angemahnt. Ein gemeinsames Verständnis der sichtbaren Einheit der Kirche sei "unverzichtbar", so der Leiter der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz im Interview.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, im September besucht erstmals ein Papst mit Thüringen ein Kerngebiet der Reformation. Welche historische Tragweite hat das Ereignis?

Müller: Der Besuch ist ein Zeichen dafür, dass der Dialog zwischen katholischer und evangelischer Theologie und Kirche gerade in Deutschland von höchster Wichtigkeit ist und auch von niemand besser geführt werden kann als von einem Papst, der aus Deutschland stammt.

Benedikt XVI. kennt sich im evangelischen Denken bestens aus.



KNA: In Erfurt trifft der Papst die Repräsentanten des deutschen Protestantismus. Er hat sich für diese Zusammenkunft eigens mehr Zeit erbeten als zunächst veranschlagt. Mit welchem ökumenischem Ertrag rechnen Sie?

Müller: Es ist an der Zeit, dass die Ökumene weiter vorankommt. Die Spaltung der Christenheit steht im offenen Widerspruch zum Willen Christi. Und der ist verbindlich für jeden Menschen, der an Christus glaubt. Deswegen können und dürfen wir uns mit dem gegenwärtigen Zustand nicht abfinden.



KNA: Wo hakt es zurzeit?

Müller: Die Ökumene stockt, wenn im Dialog nur Freundlichkeiten ausgetauscht, schwierige Themen aber ausgespart bleiben. Wer die Einheit der Kirche Christi will, der muss das Trennende grundsätzlich und im Vertrauen auf Gott angehen. Wir dürfen auf die Einheit der Kirche hoffen, wenn wir uns gemeinsam in Christus erneuern lassen. Zu dieser Erneuerung zählt auch unverzichtbar ein gemeinsames Verständnis der sichtbaren Einheit der Kirche. Es reicht nicht zu sagen: Ihr macht es so, wir so, wir bleiben getrennt und können doch gemeinsam Eucharistie feiern. Andererseits darf man sich die Kircheneinheit nicht wie die Fusion zweier Firmen vorstellen.

Wir sind der Wahrheit der Offenbarung verpflichtet, die wir in wesentlichen Lehraussagen zur Kirche, den Sakramenten und anderem leider nicht nur unterschiedlich, sondern sogar gegensätzlich auslegen. Deshalb machen wir all diese Anstrengungen in der Ökumene.



KNA: Die Begegnung findet im Erfurter Augustinerkloster statt, in das Martin Luther 1505 eintrat, um Mönch und Priester zu werden - ein guter Ort?

Müller: Ja. Luther hat von seiner Taufe an eine klassische katholische Karriere absolviert. Dann entwickelten sich die Dinge auseinander. Er wurde exkommuniziert und glaubte umgekehrt, dass die katholische Kirche mit dem Papst auf dem falschen Weg sei, weshalb das Evangelium in seiner ursprünglichen Reinheit wiederhergestellt werden müsse. Nach politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen standen sich am Ende verschiedene Kirchentümer gegenüber, darunter gleich mehrere, die aus der Reformation hervorgingen. So kam es, dass heute viele Menschen sich als Christen bekennen, aber in Teilen der Glaubenslehre und in den Sakramenten nicht so zusammen sind, dass sie die Einheit der Kirche darstellen, wie sie Christus gewollt hat. Wir müssen mit diesem Dilemma umgehen und das Ganze auf einen positiven Weg führen.



KNA: Kann da der gemeinsame Blick auf Luther helfen?

Müller: Luther hat ernsthaft mit der Heilsfrage gerungen. Seine tiefgehende Christozentrik, also das Kreisen seines Denkens um den Sohn Gottes als Grund unserer Rechtfertigung vor Gott, ist das tragende Fundament der Gemeinsamkeit. Luther kann uns durch seine existenzielle Tiefe gemeinsam lehren und vor der Gefahr einer Selbstsäkularisierung bewahren. Wir Christen im Westen sind in der Gefahr, den Anspruch des Christlichen zu reduzieren auf ein Hilfsrädchen im Weltgetriebe, auf eine zivilreligiöse Zuständigkeit für feierliche Momente, eine für Staat und Gesellschaft nützliche

Werte- und Sozialagentur.



KNA: Ihre jüngsten Ausführungen zur antipäpstlichen Polemik Luthers haben auf der anderen Seite Irritationen hervorgerufen.

Müller: Worum geht es denn dabei? Doch nicht, wie es in manchen Berichten hieß, um ein einzelnes isoliertes Zitat. Dass der Papst der Antichrist sei, ist eine durchgängige Konstante in den Schriften Luthers. Die Polemik richtete sich auch nicht gegen den Papst als einzelne Person, sondern gegen die katholische Kirche als Institution, die sich zwischen Gott und den Menschen dränge. In der Lutherdekade, die in das Gedenkjahr 2017 mündet, sollten nicht nur die positiven Aspekte seines Wirkens herausgestellt werden. Es geht auch darum, die belastenden und trennenden Elemente historisch und theologisch aufzuarbeiten, wie es in der Wissenschaft auch geschieht. Luthers damaliger Polemik entspricht im heutigen ökumenischen Dialog die Sachfrage, inwiefern die Kirche an der Heilsvermittlung beteiligt ist. Es macht einen großen Unterschied, ob die Kirche gegenüber Christus in einer Konkurrenz gesehen wird, sich ihm mit einer "Anti"-Haltung in den Weg stellt, oder in einer dienenden Funktion. Nur das Letztere kann der Fall sein. Das hat auch das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt.



Interview: Christoph Renzikowski