Katholische Kirche Stuttgarts bewertet grün-roten Koalitionsvertrag

"Orientierungsplan flächendeckend umsetzen"

Einen Monat nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg steht der Koalitionsvertrag von Grünen und SPD. Für domradio.de bewertet Dr. Alexander Lahl, Geschäftsführer des Stadtdekanats Stuttgart, die grün-roten Pläne.

 (DR)

domradio.de: Herr Dr. Lahl, Winfried Kretschmann wird Deutschlands erster Grüner Ministerpräsident. Ist das auch eine Erfolgsmeldung für die katholische Kirche? Immerhin ist Lahl Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Alexander Lahl: Ob es eine Erfolgsmeldung ist, kann ich so nicht sagen. Also ich denke, und das weiß ich auch, wir haben von katholischer Seite aus gute Beziehungen zu Herrn Kretschmann, deswegen gehe ich auch davon aus, dass die Zusammenarbeit in Zukunft in seiner neuen Funktion hoffentlich sehr gut sein wird. Die Begegnungen, die wir bisher hatten, waren ausgesprochen gut.



domradio.de: Was erwarten Sie als Vertreter dieses Gremiums des Stadtdekanates Stuttgart, bestehend aus Laien und Priestern, von dem neuen Grünen Ministerpräsidenten?

Lahl: Eben dass er einhält, was er im Wahlkampf versprochen hat und was ja jetzt auch in den Koalitionsverhandlungen so vereinbart wurde. Ich nenne mal zwei Punkte: Mehr Bürgerbeteiligung, das finde ich auf jeden Fall gut. Ich habe bei dem Prozess um Stuttgart21 ja leibhaftig die Auseinandersetzung bis zur Schlichtung mitbekommen. Hier hat man gemerkt: Da hat Politik über die Menschen hinweg regiert. Ich denke, wenn solche Dinge in Zukunft mit mehr Bürgerbeteilung im Vorfeld geklärt werden könnten, wäre das sicherlich von Vorteil. Das andere ist sicher die Bildungspolitik. Hier betreiben die Kirchen in Stuttgart ja über 80 Kitas, und wir merken: Hier muss noch Wesentliches getan werden. Die Betreuung von Kindern zwischen null und drei Jahren muss ausgebaut werden, wie es ja auch der Koalitionsvertrag vorsieht. Und der Orientierungsplan, der auch von den Kirchen mit entwickelt wurde, muss verbindlich flächendeckend umgesetzt werden, das heiße ich gut und wünsche mir, dass es so weiter geht.



domradio.de: Wegen des Bauprojektes Stuttgart21 gab es bereits Krach. Glauben Sie, dass das Bündnis bei den vielen kniffligen Aufgaben überhaupt durchhalten wird?

Lahl: Bei Stuttgart21 hat man sich theoretisch geeinigt, aber man sieht, dass beide Parteien in dieser Frage sehr weit auseinander sind. Ich bin wirklich gespannt, ob das was in der Theorie jetzt verschriftlicht wurde, die Einigkeit über die Volksabstimmung im Oktober 2011 - allerdings nur über den Stuttgarter Bahnhof -, das Festhalten am Kostenlimit von 4,5 Milliarden Euro, das Festhalten an einer Neubaustrecke, ob das alles wirklich in der Praxis standhält. Das wird sich zeigen. Ich habe gerade eher das Gefühl, man versucht jetzt nach und nach, nach dem 12. Mai auch in den Regierungsalltag hineinzukommen und dann mit dem Thema neu umzugehen.



domradio.de: Ein Thema von Kretschmann ist auch die Verkehrspolitik: "Weniger Autos sind besser als mehr", hat er gesagt, obwohl Baden-Württemberg mit Daimler und Porsche das Autoland in Deutschland ist. Könnte ein Ministerpräsident Kretschmann den Automobilstandort Baden-Württemberg schwächen?

Lahl: Davon gehe ich nicht aus. Ich habe aus den Medien jetzt nach dieser Aussage Kretschmanns noch einmal gehört, wie er sie verstanden hat. Ich gehe davon aus, ihm geht es darum zu schauen, dass es weiter Autos geben wird - so steht es ja sogar in der Koalitionsvereinbarung: Die Landesregierung will Elektroautos präferieren. Kretschmann will also elektrische Fahrzeuge und elektrische Mobilität stark fördern. Gleichzeitig wird er den Automobilstandort in Stuttgart und Umgebung nicht schwächen.



Interview: Tommy Millhome