Aleviten üben scharfe Kritik an rot-grüner Landesregierung

"Der Islam kennt keine Kirche"

Die Alevitische Gemeinde Deutschlands übt scharfe Kritik an der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Im Interview mit domradio.de zeigt sich der zweite Gemeindevorsitzende Ali Ertan Toprak enttäuscht über den in dem bevölkerungsreichsten Bundesland geplanten Islamunterricht.

 (DR)

domradio.de: Herr Toprak, die rot-grüne Regierung in NRW plant einen islamischen Religionsunterricht, bei dem die Inhalte ja weitgehend vorgegeben sind. Was gibt es denn daran auszusetzen?

Ali Ertan Toprak: Grundsätzlich sind wir als Alevitische Gemeinde Deutschland selbstverständlich auch für die Einführung eines islamischen Unterrichts als ordentliches Lehrfach an den staatlichen Schulen. Wir haben nur ein Problem mit den Ansprechpartnern des Landes, dem Koordinierungsrat der Muslime. Und das Land NRW hat nur diesen als Ansprechpartner akzeptiert.



domradio.de: Welches Problem haben Sie denn mit diesem Ansprechpartner?

Toprak: Keiner der im Koordinierungsrat der Muslime versammelten Verbände ist eine anerkannte Religionsgesellschaft. Das Problem am Koordinierungsrat ist, dass es ein loser Zusammenschluss von vier großen islamischen Dachverbänden ist, und unter diesen Dachverbänden sind auch einige radikale Verbände und Vereinigungen, die nicht in die Schule gehören, wie wir finden. Das ist unsere Problem: Es kann doch nicht sein, dass auf der Bundesebene die Bundesregierung, der Bundesinnenminister, z.B. den Islamrat von der Deutschen Islamkonferenz suspendiert, und das Land macht mit dem Islamrat dann Religionsunterricht hier im Lande.



domradio.de: Was befürchten Sie denn, wenn ausgerechnet dieser Koordinationsrat der Ansprechpartner wird?

Toprak: Wir befürchten, dass die Inhalte von diesen Verbänden bestimmt werden und sie und ihr Weltbild mit unserer Verfassung und auch mit unseren freiheitlichen Werten in Kollision geraten könnten.



domradio.de: Wer hätte denn ein besserer Ansprechpartner hier in NRW sein können?  

Toprak: Das ist das Problem: Der Islam kennt keine Kirche. Im Islam gibt es die schiitische und sunnitische Konfession, und in der sunnitischen Konfession gibt es vier Rechtsschulen, aber es gibt keine islamische Kirche. Demzufolge bin ich der Ansicht, man würde besser fahren, wenn man hier im Land den Islamkundeunterricht ausbaut.



domradio.de: Sie selbst sind Alevit. Einen alevitischen Religionsunterricht gibt es ja schon. Was unterscheidet den diesen von einem islamischen Unterricht?

Toprak: Wir sind eine eigenständige Religionsgemeinschaft und als solche seit 2004 in Deutschland anerkannt. Wir kommen ursprünglich aus Kleinasien, aus Anatolien, dort sind wir bis heute nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Wir haben eine eigenständige Glaubenslehre. Vielfach werden wir in der Öffentlichkeit und in den Medien als liberale Muslime dargestellt, aber das ist nicht richtig. Wir sind eine synkretistische, humanistische Religion mit eigenen Wertvorstellungen und einer eigenen Glaubenslehre, die mit dem heutigen Islam wenig gemein hat.



domradio.de: Was sollte denn die Landesregierung Ihrer Meinung nach jetzt tun, damit Ihre Sorgen bezüglich eines gemeinsamen Islamunterrichts an deutschen Schulen unbegründet sind?

Toprak: Sie sollte sich Gedanken machen, ob es richtig ist, nur den Koordinierungsrat einzubinden, oder ob man schaut, dass auch liberale muslimische Vereinigungen und vielleicht auch Islamwissenschaftler in erster Linie den Lehrplan mitbestimmen sollten. Und wie gesagt, wenn es mit dem Koordinierungsrat nicht geht, weil keiner dieser Verbände eine anerkannte Religionsgemeinschaft ist, dann sollte man einen Islamkundeunterricht in NRW einführen bzw. ausbauen.



Interview: Monika Weiß