Früherer Papstsekretär Mokryzcki über das Erbe Johannes Paul II.

Als er starb "berührten sich Himmel und Erde"

Nicht viele Kirchenmänner können von sich behaupten, Privatsekretär zweier Päpste gewesen zu sein. Mieczyslaw Mokrzycki, seit 2007 lateinischer Erzbischof von Lviv, diente zunächst Johannes Paul II. und dann Benedikt XVI. Im Interview spricht Mokrzycki auch über die letzten Stunden im Leben von Johannes Paul II.

 (DR)

KNA: Exzellenz, ich brauche Sie wohl nicht zu fragen, wo Sie den 1. Mai verbringen?

Mokrzycki: Ich habe natürlich schon unmittelbar nach der Ankündigung der Seligsprechung im Januar ein Hotelzimmer in Rom reserviert.



KNA: Verändert sich Ihr geistiges Verhältnis zu Johannes Paul II. durch seine "Beförderung"?

Mokrzycki: Es ist ja keine Art von "Beförderung" im weltläufigen Sinne. Durch die Seligsprechung stellt ihn die Kirche uns als Glaubenszeugen, als Beispiel für Heiligkeit, vor. In der Tat konnten wir in seiner Person schon zu Lebzeiten in gewisser Weise die Heiligkeit berühren. Der Heilige Vater war zu seinen Lebzeiten für alle, die in seiner unmittelbarer Nähe Dienst tun durften, weit mehr als nur ein "Vorgesetzter". Er war uns allen eine Vaterfigur, die wir von ganzem Herzen verehrt und geliebt haben.



Durch seine Seligsprechung verändert sich mein Verhältnis zu ihm nicht; es wird jedoch auf eine andere Ebene gehoben. Papst Johannes Paul II. hatte in seinem Betschemel in der Privatkapelle seiner Wohnung immer einen Ordner, in dem in all den Jahren ungezählte Wünsche um sein fürbittendes Gebet gelegt waren. Jetzt, wenn wir ihn als Seligen verehren dürfen, können wir uns in einer neuen und ganz anderen Weise seiner Fürsprache bei Gott anvertrauen.



KNA: Was hinterlässt "der Papst aus Polen" auf politischer Ebene?

Mokrzycki: Das historische Urteil über eine Lebensleistung fällen ja in der Regel erst die nachfolgenden Generationen. Aber Papst Johannes Paul II. hatte einen entscheidenden Anteil am Zusammenbruch des Kommunismus. Und daran, dass die Spaltung Europas in zwei feindliche Blöcke überwunden wurde. Er pflegte gerne zu sagen, Europa müsse mit seinen beiden Lungenflügeln atmen: dem des Westens und dem des Ostens. Damit gab er den Europäern deutlich zu verstehen, dass hinter dem ehemaligen "Eisernen Vorhang" ebenfalls Europäer lebten, europäische Kultur gepflegt wurde und ein europäisches Bewusstsein bestand. Und dass die künstlich gesetzten Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa überwunden werden sollten.



KNA: Wie ist der Papst aus Polen taktisch vorgegangen?

Mokrzycki: Johannes Paul II. kannte den Kommunismus und seine Repressionen von innen her. Auch die Taktiken der Kommunisten waren ihm vertraut. Er suchte folglich nicht die Konfrontation mit den kommunistischen Führern, sondern war stets auf den Dialog bedacht.

Besonnen, freundlich, aber dabei konsequent beharrte er auf seinen Forderungen nach Glaubensfreiheit und Menschenrechten. Gleichzeit war er überzeugt, dass "dieses System" früher oder später untergehen würde, weil es ungerecht und ökonomisch ineffizient war.



Seine historischen Worte gleich bei seiner Amtseinführung 1978 lauteten: "Öffnet, reißt die Tore auf für Christus! Seiner erlösenden Macht öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen wie die politischen Systeme! Habt keine Angst!" Die geistige Herausforderung solcher Sätze war desto weniger zu überhören, als sie zum ersten Mal in der Geschichte vom staatlichen Fernsehen Polens weit über dessen Grenzen hinaus, bis nach Weißrussland und Litauen, direkt ausgestrahlt wurden. Der Papst fügte sogar polnische, russische und litauische Grußworte hinzu. Diese Worte mögen vielleicht im Westen unterschätzt worden sein. In Osteuropa aber ganz sicher nicht.



KNA: Sie waren einer der wenigen Menschen, die beim Tod des Papstes im April 2005 die ganze Zeit bei ihm waren. Was geschah in seinen letzten Stunden?

Mokryzcki: Johannes Paul II. war ja bereits lange Zeit gesundheitlich angeschlagen, so dass sich die Menschen innerlich auf seinen Tod vorbereiten konnten. Am Donnerstag [31. März 2005, d.

Red.] hatte er einen septischen Schock, eine Vergiftung des ganzen Körpers. Danach war allen klar, dass es keine Hoffnung mehr auf Genesung geben konnte. Die Mediziner versicherten, dass eine uneingeschränkte Versorgung auch im päpstlichen Haushalt möglich sei. Daher haben wir auf eine neuerliche Verlegung ins Krankenhaus verzichtet. Er sollte die letzten Stunden bei sich zu Hause sein.



Der Heilige Vater war bis wenige Stunden vor seinem Tod geistig völlig präsent und dabei absolut ruhig und gelöst. Es war deutlich zu spüren, dass er mit einer großen inneren Freiheit auf die Begegnung mit dem Herrn zuging.



KNA: Wie war die Stimmung im Krankenzimmer?

Mokryzcki: Ganz besonders. Der Papst war bei vollem, klarem Bewusstsein, hörte die Messe, Schriftlesungen und Meditationen. Viele Besucher kamen: Kardinäle, Bischöfe und Freunde, die ihn noch einmal sehen wollten und die um seinen Segen baten. Das war auch sein eigener Wunsch. Er war ganz ruhig und sich seiner Situation voll bewusst, antwortete mit Gesten. Alle, die ihn noch besucht haben, waren angerührt von seiner geistigen Präsenz.



Am Samstagnachmittag [2. April, d. Red.] ließ sein Bewusstsein allmählich nach. An der Messe am Vorabend des Barmherzigkeitssonntags hat er noch teilnehmen können. Nach der Messe ist er dann sehr ruhig eingeschlafen. Wir knieten um das Krankenbett, und nur eine Lampe gab indirektes Licht ab, so dass der Papst im Halbdunkel lag, jedoch für uns deutlich zu sehen war. Wir begleiteten den Heiligen Vater mit unseren Gebeten bis an die "Schwelle der Hoffnung", die er nun im Begriff war zu überschreiten.



Im Augenblick des Heimgangs wurde es dann ganz still. Unmittelbar danach machte Erzbischof Dziwisz das Licht im Zimmer an und unterbrach so die Stille des Todes, die einen jeden von uns einholt, wenn ein Abschied in die Ewigkeit genommen werden muss. Der Heilige Vater war nun am Ziel der irdischen Pilgerschaft angekommen. Der Erzbischof stimmte dann mit bewegter, aber fester Stimme das Te Deum an. In diesem Augenblick des Todes unseres geliebten Heiligen Vaters berührten sich für uns Himmel und Erde.



KNA: Und kam danach keine Hektik auf?

Mokryzcki: Nein. Jeder war vorbereitet auf das, was folgte, und jeder kannte seine Aufgaben. Die Schwestern verließen das Sterbezimmer; der päpstliche Zeremoniar, Monsignore Konrad Krajewski, legte gemeinsam mit den Krankenpflegern, die in der zurückliegenden Zeit diskret und hingebungsvoll ihren Dienst für den Papst getan hatten, die entsprechenden Gewänder bereit und bereiteten die sterbliche Hülle des Papstes für die Aufbahrung vor.



Danach wurde der Papst in die Päpstliche Hauskapelle überführt. Dort kamen die engsten Vertrauten hinzu, um sich von ihm unter dem großartigen Glasfenster, das die Auferstehung Christi zeigt, zu verabschieden. Hier blieb der Papst die erste Nacht über aufgebahrt, bis er am Vormittag des folgenden Tages in die Sala Clementina gebracht wurde. Dann konnte der Camerlengo die päpstlichen Privaträume versiegeln.



KNA: Sie blieben noch über zwei Jahre Privatsekretär auch des neuen Papstes, bevor Benedikt XVI. Sie als Erzbischof-Koadjutor nach Lemberg berief. Sehen Sie sich im kommenden Jahr in der Ukraine? Sie hoffen auf einen Papstbesuch 2012.

Mokrzycki: Das ist eine sehr interessante Frage. Wir alle freuen uns natürlich jetzt erst einmal auf den Besuch des Papstes in seiner deutschen Heimat im September. In der Tat hoffen wir, dem den Heiligen Vater, wenn ihm dazu die Kraft gegeben wird, im kommenden Jahr in der Ukraine begrüßen zu dürfen. Das wäre ganz großartig. Wir beten dafür.



KNA: Eine solche Reise könnte auch ein bedeutender Schritt für die Ökumene sein.

Mokrzycki: Ja, das ist sicher so. Seit der Visite von Johannes Paul II. 2001 würden dann auch schon elf Jahre vergangen sein. Ein Besuch von Benedikt XVI. wäre für alle Christen in der Ukraine, ob sie nun lateinisch-katholisch, griechisch-katholisch oder russisch-orthodox sind, eine großartige Einladung zum gemeinsamen Gebet und zum Dialog.



Interview: Alexander Brüggemann