Der Autor Jürgen Schmieder unterzieht die Religionen einem Praxistest

Ziel: Liebling der Götter

"Ich will in den Himmel", hat sich Jürgen Schmieder vorgenommen. Oder aber: "als glückliche Kuh wiedergeboren werden". Denn wer weiß schon, welche Religion am Ende Recht hat. Mit dieser Zielvorgabe hat der Münchner Journalist ein ungewöhnliches Experiment unternomme.: ein Leben als sogenannter "Alltheist".

Autor/in:
Bettina Nöth
 (DR)

So versuchte Schmieder ein Leben zu führen, das ihm bei möglichst vielen Glaubensrichtungen Pluspunkte bringt - und das gleichzeitig. Um seine Chancen auf ein Ticket für die Ewigkeit quasi zu optimieren. Es ist nicht der erste Selbstversuch, den der Münchner Online-Redakteur zu einem Buch verarbeitet hat. Im vergangenen Jahr probierte er aus, 40 Tage lang unerbittlich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen. Mit "Du sollst nicht lügen" landete der Autor seinen ersten Bestseller.



Was die Religion betrifft, ist der Oberpfälzer nicht vom Fach. Er hat nicht Theologie studiert, sondern Germanistik, Volkswirtschaft und Filmwissenschaft. Vier Jahre lang prüfte er verschiedene Religionen und mehr oder weniger anerkannte Glaubensgemeinschaften.  Er ließ sich auf ihre Rituale ein, studierte ihre heiligen Schriften, vertiefte sich aber auch in soziologische Studien zur Religiosität und fragte befreundete religiöse Patchwork-Paare, wie sie eigentlich ihren Glauben leben.



"Apple" als Ersatzreligion

Schmieder rubbelte die Nase von schwarzen Ziegenstatuen in China, traf sich mit einem Sektenboss in München, untersuchte, ob "Apple" als Ersatzreligion taugt und wurde auf den Philippinen Zeuge eines Exorzismus. Der Familienvater ließ sich hypnotisieren, besuchte Yoga-Kurse, kniete in katholischen Kirchen und entspannte beim Floaten, bei dem man sich in stark salzhaltigem Wasser dem Gefühl der Schwerelosigkeit hingeben kann.



Am Ende des Projekts ist Schmieder nicht viel weiter gekommen. Er fand keine Religion, die alle seine Fragen an das Leben beantwortet. Und auch der synthetische Versuch, einen Monat lang nach den Vorschriften der wichtigsten Religionen zu leben, scheiterte.



"Ich bin an meine logistischen Grenzen gestoßen", bilanziert der Journalist. Das habe bei ganz banalen Dingen wie dem Essen angefangen. Allein im Judentum gebe es unzählige Speisevorschriften, der Buddhismus schreibe eine vegetarische Ernährung vor und ein Hindu dürfe nur mit der rechten Hand essen. "Eines Tages stand ich vor dem Kühlschrank und habe festgestellt: Heute darf ich gar nichts mehr essen, weil nichts erlaubt ist."



Überschneidungsgrad von 95 Prozent

Überrascht ist der 31-Jährige von einer Erkenntnis: "Bei der Ethik, in den Vorstellungen über das Zusammenleben und den Umgang miteinander, gibt es einen Überschneidungsgrad von 95 Prozent." In Bezug auf die Frage nach Gott und was nach dem Tod komme, seien die Unterschiede jedoch "ganz gravierend".



Schmieders experimenteller Zugang zur Religion mag diejenigen befremden, die fest in ihrem Glauben verwurzelt sind. Doch er steht damit nicht allein in einer Zeit, in der Milieus und selbstverständliche Gewissheiten sich zunehmend auflösen. Der Autor sucht und er versucht.



Anders als die Generation seiner Eltern erweitert der streng erzogene Katholik, der sich selbst als "gläubigen Agnostiker" bezeichnet, seine zunächst christlich geprägten Vorstellungen von Gott und der Welt um Elemente aus anderen Religionen. Das Buch ist fertig, das Experiment für ihn damit aber noch nicht zu ende.



"Ich will in den Himmel oder als glückliche Kuh wiedergeboren werden" ist ein sehr persönlicher Reiseführer durch die Welt der Religionen; kein Lehrbuch und auch keine Anleitung, wie man ein religiöser Mensch wird. Der Wahrheitsfrage weicht Schmieder aus. Vielleicht deshalb, weil er den Anspruch eines allein selig machenden Glaubens "doch arg arrogant" findet. Sich festlegen wollen und können ist nicht seine Sache. Der tolerante und gleichmachende, aber auch relativierende "Alltheismus" scheint ihm attraktiver: "Ich glaube an alles, weil ich alles für möglich halte."