Welthungerhilfe fordert mehr Investitionen in Landwirtschaft statt Spekulationsgeschäfte

Mehr Transparenz

Nahrungsmittel dürfen laut Bärbel Dieckmann nicht zum Objekt von Spekulanten werden. Gemeinsam mit Bundesentwicklungsminister Niebel und Bundesagrarministerin Aigner forderte die Präsidentin der Welthungerhilfe größere Transparenz auf den Agrarmärkten, um hochspekulativen Geschäfte entgegenzutreten.

 (DR)

domradio.de: Eine Sache, an der die Bundesregierung etwas verändern könnte, ist der so genannte Biosprit E10. Da ist nicht nur umstritten, was er für einen biologischen Nutzen haben soll, er verschärft auch die Hungersituation in der Welt. Was denken Sie?Bärbel Dieckmann: Das ist eindeutig so, das verschärft die Situation. Trotzdem plädieren wir sehr dafür, das nicht als alleinige Ursache zu sehen. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Flächennutzung von 5 auf 10 Prozent gestiegen, dadurch weltweit 2 Prozent. Das ist eine Spitze, die die Lage verschärft und bei der man über die Entscheidungen nachdenken muss, aber das ist nicht die alleinige Ursache. Es kommt eben noch andere Faktoren hinzu: Spekulationsgewinne, im Moment sind das 10 bis 15 Prozent, aber vor allem brauchen wir nach wie vor Investitionen in die Landwirtschaft, um den Produzenten zu ermöglichen, ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren.



domradio.de: Wie waren denn die Reaktionen der Minister Niebel und Aigner im Gespräch?

Dieckmann: Wir waren uns in ganz vielen Fragen einig. Wir waren uns einig, dass man keinen eindimensionalen Ansatz nehmen kann. Weiterhin, dass es gut ist, dass die Bundesrepublik mehr Investitionen in die Landwirtschaft tätigt. Dass in L’Aquila (Anm. d. Red.: G8-Gipfel in L’Aquila 2009) auch die Bundesrepublik mit durchgesetzt hat, dass auch andere Länder, wie z.B. die USA nicht mehr in Lebensmitteln bezahlen, sondern wirklich Geld für Investitionen zur Verfügung stellen. Wir waren uns einig, dass wir eine Transparenz bei den Spekulationen brauchen. Wir, die Welthungerhilfe und andere Entwicklungsorganisationen, fordern auch eine Art Börsenumsatzsteuer. Das ist nicht in erster Linie das, was die Bundesregierung anstrebt. Insofern gab es viele Einigkeiten und ganz punktuell auch Unterschiede.



domradio.de: Gehen wir einmal auf die Unterschiede ein: Sie haben insbesondere die Börsenumsatzsteuer erwähnt. Wie fielen die Reaktionen darauf aus?

Dieckmann: Frau Aigner hat noch einmal betont, dass da der Finanzminister und sie selbst als Landwirtschaftsministerin die Gespräche führen. Zuerst einmal ist mehr Transparenz, mehr Kontrolle ganz wichtig. Das peilen wir an, wir haben bisher keine vernünftige Datenbasis über Ernten und Lagerbestände. Dadurch wird das Spekulationspotential erhöht. Ein gutes Beispiel ist Russland: Als es eine Exportbeschränkung für Weizen aus Russland gab, sind sofort die Preise in die Höhe geschnellt, obwohl es vorher drei Jahre lang sehr gute Weizenernten gab. Und was dann noch passiert ist: Selbst andere Produkte wie Teff (Anm. d. Red.: eine Hirseart )in Äthiopien sind teurer geworden sind. Die Börsenumsatzsteuer ist natürlich insgesamt umstritten, und auch Frau Ministerin Aigner hat dazu keine Zusage gemacht.



domradio.de: Was ist bei diesem Gespräch konkret herausgekommen? Was kann die deutsche Bundesregierung tun, um den Hunger der fast eine Milliarde Menschen weltweit zu verringern?

Dieckmann: Ich beginne mal mit dem gesamten Bereich der Spekulationen: Frankreich hat es ja für den G20-Gipfel zu einem der ganz wichtigen Themen gemacht. Damit ist es auch über Deutschland hinaus von Interesse und wird übrigens inzwischen auch in den USA als nicht unwichtiges Thema gesehen. Und ich hatte heute den ganz klaren Eindruck, dass Frau Ministerin Aigner und Herr Minister Niebel das mit unterstützen werden, dass Deutschland diese Position vertritt. Wir waren uns, wie bereits erwähnt, einig, dass wir Transparenz und Kontrolle brauchen. Vor allem waren wir uns aber auch einig, und das begrüße ich sehr, dass wir in großem Umfang Investitionen in die Landwirtschaft brauchen. Dafür braucht man übrigens auch angemessene Preise. Im Moment ist nicht das Problem, dass langfristig vielleicht die Preise noch steigen werden, sondern die große Volatilität, also das Auf und Ab der Preise, ist ein Problem. Wir brauchen Wissenschaft, Forschung und eine Regulierung des "land grabbing" (Anm. d. Red. des großangelegten Landkaufs), das kann in einigen Fällen in Form von Investitionen den Menschen zu Gute kommen, aber in vielen Fällen tut es das nicht. Wir brauchen dringend Forschung über Lagerhaltung, wir gehen davon aus, dass 40 Prozent der produzierten Lebensmittel in Entwicklungsländern nicht zur Verfügung stehen, weil sie einfach nicht haltbar genug sind. Die werden in Regenzeiten produziert und halten dann nicht. Also das sind alles breite Einigkeiten gewesen und wir sind sehr froh darüber, zumal die Forderungen der Entwicklungsorganisationen, der NGOs sehr nah beieinander liegen. Wir stimmen ganz mit Misereor, mit Brot für die Welt, mit Caritas und Diakonie, aber auch mit vielen anderen, wie CARE und HELP  überein.