Für den Rechtsexperten Hillgruber widerspricht die PID der Verfassung

"Dasein um seiner selbst willen"

Für den Bonner Verfassungsrechtler Christian Hillgruber würde selbst eine begrenzte Freigabe der PID dem Würdeschutz der Verfassung widersprechen, wie er in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) deutlich macht.

 (DR)

KNA: Herr Professor Hillgruber, wie ist derzeit der Schutz des Embryos geregelt?

Hillgruber: Bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Sommer letzten Jahres ging man allgemein davon aus, dass das Embryonenschutzgesetz ein strafbewehrtes Verbot der Präimplantationsdiagnostik beinhaltet. Mit der Entscheidung des BGH, dass die PID unter bestimmten Bedingungen nicht verboten sei, entstand eine Strafbarkeitslücke. Deshalb muss der Bundestag nun entscheiden, ob er diese schließen oder die PID beschränkt erlauben will.



KNA: Wie sieht es auf der Ebene der Verfassung aus?

Hillgruber: Entscheidend sind hier die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Abtreibungsrecht. Im zweiten Urteil sprachen die Richter dem Embryo unmissverständlich sowohl ein eigenständiges, also unabgeleitetes Recht auf Leben als auch Menschenwürde zu. Dieser Anspruch auf Achtung und Schutz seiner Würde kommt jedem menschlichen Leben zu, "nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität". Daher ist auch der Ungeborene bereits würdebegabter Mensch, dessen Leben nicht der Verfügungsgewalt Dritter, und sei es der seiner Eltern, unterliegt.



KNA: Gilt dies auch für den Embryo in der Petrischale?

Hillgruber: Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn die Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter eine rechtlich bedeutsame Zäsur darstellte. Das lässt sich aber kaum begründen. Das Verfassungsgericht hat sich zwar erst über den Status ab der Einnistung geäußert. Aber es führt als Grund für die Zuerkennung eines eigenen Lebensrechts und eines Würdeschutzes an, dass es sich um ein individuelles, in seiner genetischen Identität festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben handelt, das sich nicht erst zum Menschen, sondern bereits als Mensch entwickelt. Für diesen Qualitätssprung ist aber die Kernverschmelzung und nicht die Nidation das entscheidende Datum. Dieser Zeitpunkt ist damit verfassungsrechtlich maßgeblich.



KNA: Wie ist Würde in diesem Falle zu verstehen?

Hillgruber: Nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts geht es nicht um ein Privileg, das man sich durch Leistung und Persönlichkeitsbildung erst verdienen müsste. Die Würde des Menschseins liegt vielmehr auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen. Daher gibt es keine weitere Voraussetzung für die Zuerkennung als die bloße Zugehörigkeit zur Spezies des Homo sapiens sapiens.



KNA: Befürworter der PID argumentieren allerdings mit einem abgestuften Würdeschutz.

Hillgruber: Die Abstufungsthese wird von einigen Juristen vertreten, etwa von Horst Dreier, der auch dem Nationalen Ethikrat angehörte. Das Verfassungsgericht hat aber in seiner zweiten Abtreibungsentscheidung jeder Stufenlösung eine eindeutige Absage erteilt. Das Wort "Abstufung" ist ohnehin irreführend. Denn beim Leben geht es um Sein oder Nichtsein, also um Schutz oder völlige Schutzlosigkeit.



Eine Abstufung ist hier nicht möglich. Zudem wird nach der "Stufenlösung" dem Menschen ausgerechnet in der Frühphase seiner Existenz der Schutz entzogen, in der er völlig wehrlos und deshalb besonders schutzbedürftig ist. Das ist nicht plausibel. Nach unserer Verfassung verdient gerade der Schwächste den größten Schutz.



KNA: Wie aber ist es, wenn man die PID in Analogie zur Abtreibung sieht?

Hillgruber: Zunächst ist zu sagen, dass die Konfliktsituation bei der PID bewusst herbeigeführt und ein möglicher, keineswegs zwingender Konflikt dann gleichsam vorweggenommen wird. Im Übrigen ist der Schwangerschaftsabbruch ja nur dann straffrei, wenn Leben und Gesundheit der Mutter ernsthaft gefährdet sind. In diesem Fall gibt es dann keinen dritten Lösungsweg. Das ist bei der PID anders. Sollten Eltern nicht bereit sein, jedes Kind so anzunehmen, wie es genetisch beschaffen ist, dann müssen sie gegebenenfalls darauf verzichten und sich auf den Weg der Adoption verweisen lassen.



Zudem ist es verfassungsrechtlich anerkannt, dass es keine "Gleichheit im Unrecht" gibt. Etwaige Wertungswidersprüche müssen zugunsten des Lebens- und Würdeschutzes aufgelöst werden. Die PID würde eine Entscheidung über lebenswertes und lebensunwertes Leben einführen. Das lässt sich mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren. Der Gesetzgeber hat bewusst die embryopathische Indikation, also die mögliche Behinderung eines Kindes, als Grund für eine Abtreibung verworfen. Und zwar weil Behinderte nicht diskriminiert werden dürfen. Das folgt unmittelbar aus der Menschenwürdegarantie.



KNA: Welche Folgen hätte eine Zulassung der PID für den Status des Embryos?

Hillgruber: Erhebliche. Der Schutz würde deutlich reduziert. Die Durchführung einer PID erfordert die Herstellung von mindestens sieben Embryonen. Damit würde die bisherige Regelung fallen, wonach höchstens drei Embryonen hergestellt und eingepflanzt werden dürfen. Es würde also mehr überzählige Embryonen geben, und zwar auch völlig gesunde. Dies würde neue Begehrlichkeiten der Forschung hervorrufen.



Interview: Christoph Scholz