Weitgehend ruhige Parlamentswahl

Erleichterung in Nigeria

Die Nigerianer haben am Samstag unter starken Sicherheitsvorkehrungen ein neues Parlament gewählt. Die mit Spannung erwartete Stimmabgabe verlief in den meisten Bundesstaaten weitgehend friedlich. Die Parlamentswahl gilt als Stimmungstest für die am kommenden Samstag stattfindende Wahl eines neuen Präsidenten.

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epd
 (DR)

Aufgeregt und wild gestikulierend drängen sich Anhänger der Oppositionsparteien am Montag in dem regionalen Wahlbüro in Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos. Sie halten Protokolle aus den einzelnen Wahllokalen in den Händen und wollen die Ergebnisse ihrer Kandidaten kontrollieren. Doch die Wahlverantwortlichen rechnen noch, tragen neu eingetroffene Ergebnisse in lange Listen ein und wollen nicht gestört werden. Es ist heiß und stickig.



"Wir warten schon seit 24 Stunden hier", erzählt Tude Enemega, ein Mitglied der Kongresspartei CPC, sichtlich erschöpft. "Es gab so viele Unregelmäßigkeiten, wir wollen wissen, was passiert ist." Die Zeit bis zur Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses wird zur Geduldsprobe werden. In vielen Bundesstaaten wollen Oppositionsparteien die Ergebnisse der Parlamentswahl anfechten und bereiten Klagen vor.



Zweimal mussten die Parlamentswahlen in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas wegen Organisationsproblemen verschoben werden. Und auch am Samstag konnten 15 Prozent der 73,5 Millionen Wahlberechtigten nicht abstimmen, weil nicht genügend Wahlzettel gedruckt wurden.

Dennoch ist schon jetzt klar: Großer Wahlgewinner ist die Opposition.

Sie brachte die regierende Demokratische Partei PDP von Präsident Goodlock Jonathan um ihre komfortable Mehrheit in Senat und Abgeordnetenhaus.



Gesprächsthema Nummer eins

Auf den Straßen im ganzen Land sind die Wahlen Gesprächsthema Nummer eins. Die Ausgangssperre ist aufgehoben, Normalität kehrt wieder ein. Auch wenn die Anspannung vielerorts noch zu spüren ist, sind die Menschen erleichtert, dass die befürchtete Gewaltwelle ausgeblieben ist.



"Wir haben zu Gott gebetet", sagt Sunday Omoke aus Lagos. Er erinnert sich noch genau, wie sich die ganze Familie bei den letzten Wahlen 2007 in der Wohnung verschanzt hatte, weil auf den Straßen Krieg herrschte. "Wir haben am Boden gelegen und nicht gewagt, aus dem Fenster zu schauen", erzählt der Arbeiter. Diesmal habe sich das stundenlange Warten in den Wahllokalen gelohnt, meint er. "Wir wollen der ganzen Welt zeigen, dass Nigeria freie und faire Wahlen abhalten kann."



Dennoch gab es auch dieses Jahr Tote. Schon am Abend vor der Wahl wurde auf ein Büro der regionalen Wahlkommission in Suleja, rund 20 Kilometer von der Hauptstadt Abuja entfernt, ein Anschlag verübt. Die 13 Getöteten sind allesamt Jugendliche, die als Wahlhelfer gerade auf die Verteilung des Wahlmaterials warteten.



Fünf Todesopfer

Am Samstag wurden im südöstlichen Bundesstaat Borno fünf Menschen umgebracht. Sicherheitskräfte schreiben den Anschlag der islamistischen Organisation Boko Haram zu. Im Südwesten des Landes, in Osun, wurden zwei Oppositionskandidaten angegriffen. Sie flüchteten in eine nahe gelegene Kirche und wurden dort zusammen mit drei weiteren Menschen erschossen.



Für die Präsidentschaftswahl am Samstag gilt deshalb höchste Alarmstufe. Rund 240.000 Polizisten und Soldaten sind im ganzen Land verteilt. Schon jetzt gibt es überall Straßensperren. Autos werden auf der Suche nach gestohlenen oder gefälschten Wahlzetteln durchsucht.



Auch nationale Medien berichten von Wahlbetrug. Stimmzettel verschwanden, auf anderen fehlten Kandidaten, auch von Mehrfachwählern und Stimmenkauf war die Rede. "Ich habe selbst gesehen, wie Wähler von einem Kandidaten 5.000 Neira (rund 25 Euro) bekommen haben", sagt ein Wahlbeobachter der Kongresspartei CAN, der im Bundesstaat Niger unterwegs war. Auch bei der Auszählung der Stimmen kam es zu Unregelmäßigkeiten.



Kopf-an-Kopf-Rennen

Für die Präsidentenwahlen sagen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amtsinhaber Jonathan, einem Christen, und seinem stärksten Rivalen Muhammadu Buhari, einem Muslimen, voraus. Das Land ist ökonomisch, politisch und religiös zweigeteilt. Rund 60 Prozent der Nigerianer sind Muslime und leben mehrheitlich im Norden des Landes, die Christen bevölkern vor allem den Süden.



Dennoch wollen auch viele über religiöse Grenzen hinweg wählen. "Ich stimme für Buhari, auch wenn ich ein Christ bin", sagt der Student David Nwokolo. "Er ist der Einzige, der wirklich etwas gegen die Korruption macht." Die Wähler verzeihen dem 68-Jährigen seine Vergangenheit als führender Kopf in der Militärdiktatur. Viel wichtiger erscheint ihnen, dass er entschlossen ist, das Land aus dem Sumpf der Korruption herauszuführen. Denn trotz hoher Erdöleinnahmen lebt die Mehrheit der Nigerianer von weniger als zwei Dollar am Tag.