Der UN-Berichterstatter Bielefeldt zur Lage der Religionsfreiheit

"Situation mancher Minderheiten dramatisch"

Der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit sieht viele Minderheiten weltweit in ihrer Religionsfreiheit bedroht. Als "dramatisch" beschreibt Heiner Bielefeldt die Situation – und kritisiert Deutschland für seine Kopftuchverbote.

 (DR)

KNA: Herr Bielefeldt, seit vergangenem Sommer sind Sie UN-Sonderberichterstatter zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Inwieweit mussten Sie Ihre Vorstellungen über die Achtung dieses Menschenrechts korrigieren?

Bielefeldt: Mir ist die dramatische Situation mancher Minderheiten neu bewusst geworden. Eine Gruppe, die hierzulande wenig im Gespräch ist, möchte ich einmal exemplarisch nennen: die Zeugen Jehovas. In vielen Ländern werden sie massiv bedrängt und sind Opfer von allerlei Verschwörungsphantasien.



KNA: Welche Religionsgemeinschaften werden weltweit am stärksten verfolgt?

Bielefeldt: Ich halte es nicht für sinnvoll, solche Rankings durchzuführen. Es gibt außerdem ganz unterschiedliche Verfolgungsmuster - angefangen von bürokratischen Gängelungen über Missionsverbote bis zur Bedrohung an Leib und Leben. Nach wie vor sehr bedrohlich ist etwa die Lage der Bahai im Iran und der Ahmadis in Pakistan, auch christliche Minderheiten erleben in vielen Ländern des Nahen Ostens massive Diskriminierung. Besonders betroffen sind dabei protestantischen Gruppen. Denn sie gelten als Missionskirchen, und Missionstätigkeit stößt in den meisten Ländern des Nahen Ostens auf massive Widerstände des Staates.



KNA: Welche Folgen erwarten Sie durch die Revolutionsbewegungen in Nordafrika und Arabien?

Bielefeldt: Diese Umwälzungen werden erhebliche Konsequenzen auch für die Lage der Religionsfreiheit haben. In Tunesien, in Ägypten wird sich das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen lassen. Wo es zur Demokratisierung kommt, wird die Situation der Religionsfreiheit zwar nicht automatisch besser. Wenn autoritäre Regime fallen, tun sich jedoch diesbezüglich neue Chancen auf.



KNA: Wie können die Demokratien dabei helfen?

Bielefeldt: Wichtig ist, dass wir in Europa zunächst einmal Respekt zollen für den Mut und die Disziplin, die sich in den Demokratiebewegungen in Nordafrika und anderswo gezeigt hat. Und außerdem sollten wir natürlich das anmahnen, was international bereits vereinbart ist. Die meisten der betreffenden Staaten haben den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert und damit auch die Religionsfreiheit förmlich anerkannt. Wir müssen sie beim Wort nehmen und dafür sorgen, dass dies keine leeren Versprechen bleiben.



KNA: Manche deutsche Politiker verlangen etwa von der Türkei ausdrücklich die Einhaltung der Religionsfreiheit, andere wollen diese Forderung nur im Rahmen aller Menschenrechte erheben. Was ist aus Ihrer Sicht angemessener?

Bielefeldt: Die Religionsfreiheit steht immer im Zusammenhang aller Menschenrechte. Wer Ja sagt zur Religionsfreiheit, sagt implizit auch Ja zur Meinungsfreiheit, zur Versammlungsfreiheit und zu anderen Freiheitsrechten, auch wenn das nicht immer allen klar ist.



KNA: Inwieweit können Politiker, die hierzulande für ein Kopftuchverbot etwa für muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen eintreten, Religionsfreiheit anderswo glaubwürdig einfordern?

Bielefeldt: Solche Kopftuchverbote sind zumindest sehr begründungsbedürftig. Für nicht legitim halte ich diejenigen Landesgesetze, die scheinbar generelle Verbotsregelungen enthalten, dann aber Ausnahmen für christliche Symbole vorsehen, und zwar mit dem Argument, dass diese ja allgemeine Kulturwerte repräsentierten.

Das sind Sophistereien, die nicht wirklich überzeugen können. Es ist im Übrigen auch für die christliche Symbolik nicht angemessen, wenn man sie zum staatlichen behüteten allgemeinen Kulturgut schlägt.



KNA: Ist es mit der Religionsfreiheit vereinbar, wenn der Staat muslimische Vereinigungen dazu drängt, sich nach Art der Kirchen zu organisieren, damit sie in die deutsche Rechtsordnung passen?

Bielefeldt: Unser System der Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften muss sich öffnen für den religiösen und weltanschaulichen Pluralismus. Es ist nicht richtig, wenn Muslime nur dann partizipieren können, wenn sie sich nahtlos in die gegebenen Strukturen einpassen, wenn sie sich also im Grunde verkirchlichen. Umgekehrt steht der Staat in einer Bringschuld: Weil er sich zur Religionsfreiheit bekennt, muss er auch die Strukturen öffnen.



KNA: Inwieweit ist die Religionsfreiheit auch durch Kirchenkritiker bedroht?

Bielefeldt: Religionsfreiheit heißt nicht Schutz vor Kritik und Satire, auch dann nicht, wenn es in einer freiheitlichen Gesellschaft einmal ruppig zugeht. Denn Religionsfreiheit ist nicht eine Art Ehrschutz der Religionen, sondern ein Freiheitsrecht der Menschen.



Das Gespräch führte Gregor Krumpholz.