Die Seemannsmission kümmert sich um die von Fukushima betroffenen Seeleute

Angst, Verzweiflung und Sprachlosigkeit

In Bälde werden die ersten radioaktiv kontaminierten Frachter aus Japan europäische Häfen anlaufen. Häfen und Behörden tüfteln an Notfallplänen. Auch für die Seemannsmission ist Fukushima schon längst ein Thema. Im Interview beschreibt Pfarrerin Heike Proske, die Generalsekretärin der Deutschen Seemannsmission, die Auswirkungen.

 (DR)

domradio.de: Sie beschäftigen sich schon seit Tagen intensiv mit den Folgen von Fukushima. Welche konkreten Auswirkungen sind das?

Heike Proske: Wir haben vor allem erst einmal versucht, einen Überblick zu bekommen: Alle Leute, die konkret vor Ort in Japan sind, sind ja betroffen und alle fragen nach den Auswirkungen bei uns, also dieses Moratorium für die Atomkraftwerke. Aber von den Seeleuten, die tagtäglich in dieser Region unterwegs sind, von denen hört man eigentlich wenig. Die Seeleute sind zum einen betroffen, weil sie selbst nicht wissen, ob sie in verstrahlte Gebiete fahren, wie sollen sie das merken, wie gehen sie damit um. Die Angehörigen stellen Fragen: Musst Du dahin fahren? Die Reeder stellen Fragen: Können wir Dir helfen anzulaufen? Und wenn nicht, was passiert mit den Seeleuten? Werden die eventuell arbeitslos, müssen die Schiffe wieder eine Weile aufliegen, haben wir weniger zu tun?



Eine ganze Bandbreite von Dingen, die sich ereignen. Und dann kommt die Frage hinzu, die Sie eben angesprochen haben: Was passiert, wenn wir irgendwo in der Region waren, es vielleicht gar nicht wissen, und in so ein Quarantänebecken in einem der Häfen einlaufen und man stellt fest, es gibt Radioaktivität an Bord, am Schiff, wie auch immer. Was passiert dann? Dafür gibt es noch keine weiterreichenden Ideen.



domradio.de: Was können Sie als Seemannsmission dann bei diesem Thema tun?

Proske: Wir tun das, was unsere Hauptaufgabe ist: Wir stehen in intensivem Austausch, im Gespräch mit den Seeleuten. Denn mit wem sollen die darüber reden? Der eine Punkt ist, dass sie meistens sowieso so viel Angst haben, dass sie auch mit ihren Kollegen an Bord nicht allzu viel darüber sprechen. Dann verschlimmert sich Situation noch, das ist ja wie auf einer Insel, und es wird dann so groß, dass man nicht mehr weiß, damit umzugehen, und die Angst, die Verzweiflung oder auch die Sprachlosigkeit wächst an.



Und dann ist es gut, mit uns in Verbindung zu stehen. Das passiert einmal, wenn die Seeleute in einem Hafen sind und an Bord gehen oder wenn sie in einen unserer Clubs kommen, aber es passiert auch mit Seeleuten, die wir seit langer Zeit kennen, dass sich da per Mail vor allem ausgetauscht wird: Sag mal, habt Ihr an Land etwas gehört? Wie sieht es aus? Was können wir tun? Gibt es Tipps? Oder einfach nur: Wie kann ich für mich damit umgehen? Habt Ihr eine Idee, mit wem ich reden kann? Oder könnt Ihr mich anrufen? Also das persönliche Gespräch, die typische Seelsorgesituation.



domradio.de: Werden Sie denn von offizieller Stelle in den Häfen eventuell informiert über Maßnahmen, die getroffen werden sollen? Damit Sie das auch weitergeben können?

Proske: Sofern wir in den Häfen präsent sind, ja. Aber es gibt keine Hafenautorität, die einen Maßnahmenkatalog weitergibt, in dem steht: Bei uns wird das soundso gehandhabt. Es ist ja jetzt schon so, dass z.B. der Hamburger Hafen versucht hat, sich mit Rotterdam in Verbindung zu setzen. Da passiert es auf der Ebene der Hafenbehörden. Nun haben wir in beiden Häfen Stationen, d.h. wir bekommen auch relativ deutlich mit, was da beschlossen wird, und v.a. was die konkreten Konsequenzen für die Seeleute sind, weil wir dann natürlich auch angefragt werden, dadurch dass wir in den Häfen bekannt sind, z.B.: Könnt Ihr trotzdem an Bord gehen, wie sieht es aus? Und natürlich die Frage an unsere Mitarbeiter, wenn z.B. ein Schiff auf Reede weiter draußen liegen bleiben muss mit dem Verdacht auf Radioaktivität: Wollt Ihr da ’rausfahren, könnt Ihr Euch das vorstellen, könnt Ihr Euch an die Schutzmaßnahmen halten? Und wenn ja, dann ist das meistens für die Hafenautoritäten eine sehr große Entlastung, weil die auf diesem Gebiet einfach keine Spezialisten haben. Die machen ihren normalen Alltag.



domradio.de: Was würde denn passieren, wenn ein verstrahltes Schiff aus Japan eintrifft?

Proske: Tja, da müssen Sie die Hafenautoritäten fragen. Im Augenblick gibt es eine Art Notfallplan, der schon mal nach Tschernobyl angedacht wurde, aber wie weit der tatsächlich durchbuchstabiert worden ist, weiß ich nicht. Da heißt es eben, es muss gemessen werden und im Falle einer bestimmten Höhe, die allerdings höher ist als normal, kommt das Schiff nicht in den normalen Hafen. Ich nehme an, dann muss geguckt werden: Ist es das Schiff an sich oder ist es ein Teil der Ladung oder woran liegt es?



domradio.de: Das Thema wird Sie ja nun wahrscheinlich noch länger begleiten. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Proske: Wir haben in unserem Mailverteiler, weil wir ja über die ganze Welt verstreut sind, ein Informationssystem eingerichtet, einen Chat, in dem wir uns untereinander möglichst schnell und weitreichend informieren, damit wir das dann an die Seeleute weitergeben können. Aber v.a. sind wir hier z.B. in Deutschland, um eine Stimme zu sein: Natürlich ist es schlimm, wenn die atomare Wolke auf Tokio zu zieht, aber wir dürfen nicht vergessen, wenn sie auf See hinaus zieht, sind auch Menschen betroffen. Und zwar einmal direkt, aber auch indirekt, denn jetzt werden ja schon erhöhte Werte von Radioaktivität an den amerikanischen Küsten gemessen. Auch wenn wir in Deutschland relativ weit weg sind, es sind Menschen, auch Menschen, die wir kennen, betroffen, denn es unsere Güter, die wir jeden Tag gebrauchen, denn 90% unserer Waren kommen über den Seeweg, betroffen.



Interview: Heike Sicconi