Misereor empfiehlt: Helfen wollen nicht auf Japan fixieren

"Spenden ohne Zweckbindung"

Krisen in Japan, Nordafrika, der Karibik. Die Deutschen wollen helfen (und tun es bereits). Doch wie? Der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Miseror, Martin Bröckelmann-Simon, erklärt, warum sich die kirchliche Organisation bislang mit Spendenaufrufen für Japan zurückhält:

 (DR)

KNA: Herr Bröckelmann-Simon, nach der Katastrophe in Japan gibt es eine riesige Spendenbereitschaft. Misereor hat noch nicht eigens zu Spenden aufgerufen. Warum nicht?

Bröckelmann-Simon: Japan ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einer der wichtigsten Industrienationen herangewachsen. Im Wohlstands-Index der Vereinten Nationen liegt es auf Rang elf, direkt hinter Deutschland. Es ist also längst kein Entwicklungsland mehr wie früher, als wir massiv in Japan geholfen haben - seit 1959 in mehr als 140 Projekten, etwa im Gesundheitsbereich. Wohl kein Land der Welt ist auf Katastrophen dieser Art so umfassend vorbereitet wie Japan. Dass sie trotzdem so riesige Ausmaße haben könnten, ist natürlich schockierend.



KNA: Sie haben aber direkte Partner vor Ort.

Bröckelmann-Simon: Ja, die alten Kontakte bestehen noch. Und wir haben sie auch alle angeschrieben, unsere Solidarität erklärt und jede Hilfe angeboten. Wir arbeiten aber vor allem nach folgenden Kriterien: Erstens die Bedürftigkeit. Zweitens wollen wir eingespielte Partnerstrukturen. Drittens muss unsere Hilfe den Armen nutzen. Und viertens wünschen wir uns belastbare Konzeptionen. Von unseren Partnern gibt es da zurzeit noch keine Anfragen. Wenn die kommen sollten, werden wir aber sofort Unterstützung leisten und auch zu Spenden aufrufen. Im Moment ist jedoch eher die "Stunde der staatlichen Aktion": In erster Linie ist das Militär gefragt und der Katastrophenschutz. Und wir sehen, wie effektiv und diszipliniert diese arbeiten.



KNA: Aus Haiti war eben zu erfahren, dass viele Organisationen gerade ihre Helfer für die Erdbebenkatastrophe im vergangenen Jahr Richtung Japan abgezogen haben. Libyen, Lampedusa, Elfenbeinküste - es brennt überall.

Bröckelmann-Simon: Das ist ein Zustand, der eigentlich immer da ist. Wir haben die großen, die spektakulären Katastrophen, und wir haben die vergessenen, die alten und kleinen Konflikte. Da gibt es sehr viel Ungerechtigkeiten in der Aufmerksamkeit und auch bei der Hilfe - wohlgemerkt bei aller Bestürzung und Betroffenheit über das, was derzeit in Japan geschieht. Haiti ist die Nummer 145 im weltweiten Wohlstandsindex, Pakistan die Nummer 125. Japanische Unternehmen beginnen bereits, Kapital zu repatriieren. All solche Möglichkeiten haben arme Länder ja gar nicht.



KNA: Was empfehlen Sie den vielen Menschen in Deutschland, die helfen wollen?

Bröckelmann-Simon: Spenden Sie für die Nothilfe allgemein, ohne Zweckbindung. Für eine Organisation Ihres Vertrauens, die das Geld nach Notwendigkeit und nach Maßgabe ihrer Qualitätskriterien verwenden. Niemand weiß, wie sich die Dinge in Japan in den kommenden Wochen entwickeln. Es wäre fatal, wenn riesige Geldsummen mit einer Zweckbindung für Japan nicht abgerufen würden und brachlägen, die anderswo bitter fehlen. Und wichtig ist auch, seine Solidarität in immaterieller Hilfe auszudrücken. Daher sind wir auch im Gebet mit den Menschen in Japan verbunden. Das gehört zum Christsein notwendig dazu.



Das Gespräch führte Alexander Brüggemann.