Bundeskanzlerin lehnt sofortigen Atomsausstieg weiter ab - Erste AKW abgeschaltet

So sicher wie die Rente?

Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft trotz der Katastrophe in Japan ab. "Wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind - sie gehören zu den weltweit sichersten", sagte die CDU-Chefin am Donnerstag. Am Mittwoch hatte Merkel die deutschen Atomkraftwerke noch als "die sichersten der Welt" bezeichnet. Derweil gingen heute die ersten Meiler vom Netz.

 (DR)

"Was wir brauchen ist ein Ausstieg mit Augenmaß", sagte Merkel in einer Regierungserklärung im Bundestag. Es sei nicht sinnvoll, in Deutschland die Kernkraftwerke abzuschalten und dann den Strom von anderen Ländern zu beziehen. Die Kanzlerin lehnte auch eine Rückkehr zu dem von Rot-Grün beschlossenen stufenweisen Ausstieg bis 2022 ab. Zwar werde die Lage nach dem von ihr verkündeten dreimonatigen Moratorium der im Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung eine andere sein als jetzt. "Alles kommt auf den Prüfstand", sagte Merkel. Doch werde sie auch anders sein als von Rot-Grün beschlossen. Deren Gesetz sei "nicht tragfähig". Es gehe jetzt um einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Regierung werde dafür einen klaren Zeitplan vorlegen.



Merkel verteidigte das von der Opposition scharf kritisierte Vorgehen der Regierung bei dem dreimonatigen Moratorium. Sie könne die Kritik nicht nachvollziehen. Es handele sich nicht um einen juristischen Trick. Nach der Atomkatastrophe in Japan habe sich eine neue Lage ergeben, und man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. "Wenn, wie in Japan, das scheinbar Unmögliche möglich, das absolut unwahrscheinliche Realität wurde, dann verändert das die Lage", sagte Merkel. "Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit."



Abschaltgesetz nicht nötig

Nach dem Atomgesetz sei eine vorübergehende Abschaltung der Kernkraftwerke möglich, bis die Behörden sich Klarheit über die neue Lage geschaffen hätten. Ein Abschaltgesetz, wie es die SPD fordert, sei nicht nötig, sagte Merkel.



Nach dem schweren Erdbeben und der Atomkatastrophe in Japan hatte die Bundesregierung verkündet, dass die Sicherheit der deutschen Kraftwerke in den nächsten drei Monaten überprüft werden soll. Die sieben ältesten Meiler werden hierfür abgeschaltet. Der Reaktor Krümmel bleibt solange stillgelegt.



Die Regierung stützt sich dabei auf eine Regelung im Atomgesetz, wonach die Aufsichtsbehörden der Länder eine einstweilige Stilllegung von Reaktoren anordnen können, etwa wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter drohen. Die Opposition bezeichnet das Vorgehen als rechtlich fragwürdig.



Erste AKW ruhen

Wenige Stunden nach der Anordnung des baden-württembergischen Umweltministeriums zur Abschaltung der Reaktoren Neckarwestheim I und Philippsburg I hat derweil der Betreiber EnBW die Meiler in der Nacht zum Donnerstag vom Netz genommen. Neckarwestheim I ist seit 23.30 Uhr abgeschaltet, Philippsburg I war um 5.00 Uhr vollständig heruntergefahren, wie ein Sprecher des Umweltministeriums mitteilte.



Die Bundesregierung hatte als Konsequenz aus der Reaktorkatastrophe in Japan die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke (AKW) für drei Monate ausgesetzt. Die sieben ältesten deutschen AKW werden vorläufig vom Netz genommen, dazu gehören Neckarwestheim I und Philippsburg I.



Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und EnBW hatten angekündigt, Neckarwestheim I dauerhaft stillzulegen. Ob Philippsburg I nach dem dreimonatigen Moratorium wieder angefahren wird, hängt laut Wirtschaftsminister Ernst Pfister (FDP) davon ab, ob und in welcher Dimension die Expertenkommission Nachrüstungen fordert.



Was passiert beim Abschalten eines Atomkraftwerkes?

Um ein Atomkraftwerk stillzulegen, muss die Uran-Spaltung zur Energiegewinnung im Kern eines Reaktors gestoppt werden. Hierfür würden in das Becken mit den Brennstäben sogenannte Steuerstäbe eingeführt, die jene Neutronen einfingen, die die Uran-Spaltung auslösten, erklärt Greenpeace-Sprecher Stefan Krug. Dieser Vorgang unterbricht die Kettenreaktion zur Energieerzeugung in einem Kraftwerk zwar recht schnell. Er lässt ein Atomkraftwerk damit aber nicht von heute auf morgen harmlos werden. Denn die Brennstäbe bleiben auch in einem heruntergefahrenen Kraftwerk noch sehr heiß und müssen ein bis fünf Jahre in einem Abklingbecken außerhalb des Reaktors gekühlt werden. Nur damit kann ein Schmelzen der Brennstäbe und eine Freisetzung von Radioaktivität vermieden werden.



Erst wenn die Brennstäbe auf eine Temperatur von etwa 400 bis 500 Grad heruntergekühlt worden sind, können sie in Castor-Behältern in ein Zwischen- oder Endlager transportiert werden.



Experten halten Erdbebengefahr für deutsche AKW für unterschätzt

Experten halten die Erdbebengefahr für deutsche Atomkraftwerke für weit unterschätzt. Der Geowissenschaftler Eckhard Grimmel vom Hamburger Institut für Geografie sagte der "Augsburger Allgemeinen", dass ein Blick in die länger zurückliegende Geschichte zeige, dass mit wesentlich stärkeren Erdbeben gerechnet werden müsse, als dies bei der Planung der deutschen Atommeiler geschehen sei. "Deutsche Atomkraftwerke würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit historischen Beben in Mitteleuropa, wie beispielsweise dem Beben von Basel im Jahr 1356, nicht standhalten", sagte der Professor.



Auch der Erdbebenexperte Gottfried Grünthal vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam warnte vor ähnlich starken Erdstößen, wie es sie in zurückliegenden Jahrhunderten in Deutschland und Mitteleuropa gegeben habe. Entlang des Rheingrabens habe es Beben gegeben, die auf der Richterskala die Marke 6 überschritten hätten. "Solche Beben könnten immer wieder erreicht werden", sagte Grünthal der Zeitung.



Grimmel kritisierte, dass die deutsche Politik die Erdbebengefahr in der Vergangenheit lange unterschätzt habe: "Das ist leichtfertig, das habe ich auch mehrfach angeprangert und den Genehmigungsbehörden mitgeteilt", sagte er. Grimmel war 1988 als Sachverständiger mit daran beteiligt, dass dem Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich die Betriebsgenehmigung entzogen wurde, weil das Erdbebenrisiko nur unzureichend berücksichtigt worden war, wie das Bundesverwaltungsgericht damals bestätigte.



Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, sagte der "Passauer Neuen Presse" (Dienstagausgabe), zwar gebe es "konkrete Risikobewertungen". Allerdings werde es nun eine Neubewertung geben. "In Japan sind alle davon ausgegangen, dass es nie ein Erdbeben mit einer Stärke von 9,0 geben würde. Doch die Natur hat sich nicht daran gehalten."



Deutsche Umweltverbände fordern sofortigen Atomausstieg

Angesichts des nuklearen Desasters in Japan haben deutsche Umweltverbände entgegen Ankündigungen der Bundesregierung einen sofortigen Atomausstieg gefordert. "Wir brauchen keine Prüfung von drei Monaten - die Fakten sind alle bekannt, die Risiken stehen fest", sagte der Präsident des Deutschen Naturschutzringes (DNR), Hubert Weinzierl, am Donnerstag in Berlin. "Es geht auch nicht nur um die ältesten sieben AKWs, es geht um alle Atommeiler." Eine alternative Energieversorgung - sicher und für das Klima verträglich - sei möglich, meinte Weinzierl.



Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, sagte, ein Moratorium könne nur dann glaubwürdig sein, wenn "alle gesellschaftlichen Kräfte" zusammenkämen. "An einer sofortigen Energiewende führt kein Weg vorbei und alle Versuche der vier großen deutschen Stromkonzerne, sie zu verzögern oder gar zu verhindern, müssen entschieden zurückgewiesen werden", meinte Weiger.



Ein vollständiger Atomausstieg ist seiner Ansicht nach bis 2015 machbar. Ein ernsthafter Ausstieg bedeute eine "gehörige Kraftanstrengung" aller. In jeder Gemeinde müsse überlegt werden, wie Energie effizienter genutzt, Strom gespart und der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden könne.