TV-Tipp: Bewegende Reportage über den Ablauf einer Organspende

Einblick in Ausnahmezustand

Erfurt an einem Freitag Ende November 2010: Ein Rettungshubschrauber kreist über dem Helios Klinikum. An Bord befindet sich eine 46-Jährige. Wegen eines geplatzten Aneurysmas liegt sie im Koma. Es ist ein schwieriger Fall, und die Ärzte der Intensivstation stehen vor einer Herausforderung. Zur selben Zeit sind zwei TV-Autoren zu einer Vorbesprechung im Haus.

Autor/in:
Monika Herrmann-Schiel
 (DR)

Seit Monaten planen die beiden Journalisten Jule Sommer und Udo Kilimann, in dieser Großklinik einen Film zu drehen. Er soll zeigen, wie bei einem Patienten der Hirntod festgestellt wird, und was es für die Angehörigen und Ärzte bedeutet, die Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu fällen. An diesem Freitag wird bald klar, dass der Augenblick gekommen ist, mit den Dreharbeiten zu beginnen. "Organ gebraucht. Der tägliche Kampf ums Überleben" heißt der Film, der daraus entstanden ist. Er ist am Sonntag (06.03.2011) um 17.30 Uhr in der ARD-Reihe "Gott und die Welt" zu sehen.



Nach der Aufnahme mühen sich die beteiligten Ärzte um das Leben der Patientin. Ihr Zustand aber erweist sich als hoffnungslos. Die Angehörigen, die im Film nicht gezeigt werden wollen, ahnen schon, dass es keine Hoffnung gibt. Es sind schwere Stunden für sie, in denen sie hin- und hergerissen sind: Sollen sie im schlimmsten Fall einer Organentnahme zustimmen oder nicht? Den ersten Gedanken daran weisen die Ärzte noch zurück, weil noch nicht feststeht, ob der Patientin wirklich nicht zu helfen ist.



Der Film hält fest, mit wie viel Sorgfalt in deutschen Kliniken geprüft wird, ob ein Mensch wirklich hirntot ist oder nicht. Mehrfach wird unter Hinzuziehung eines Arztes von der Intensivstation und eines unabhängigen, unbeteiligten Mediziners überprüft, ob der anscheinend reglose Kranke nicht doch noch Reaktionen zeigt. Immer wieder prüfen die Ärzte die Funktionen. Erst als ganz sicher ist, dass alle Tests negativ verlaufen, wird das Hirntodprotokoll unterschrieben. Danach stehen die Ärzte vor der Aufgabe, mit den Hinterbliebenen über eine möglich Organspende zu sprechen. Das ist für alle Beteiligten äußerst belastend. Die Autoren hatten deshalb auch vollstes Verständnis dafür, dass die Familie der Patientin nicht gefilmt werden wollte.



Angst, Trauer, Verzweiflung und Wut

Wie sich Angehörige fühlen, darüber berichtet die Mutter eines 13-jährigen Jungen, der vor drei Jahren nach einem Selbstmordversuch in der Helios Klinik tagelang im Koma lag. Die Mutter war in einem Zustand zwischen Angst, Trauer, Verzweiflung und Wut. Am Ende gab sie die Zustimmung zur Organspende. Heute sagt die Frau, dass sie ihre Entscheidung nicht bereut, weil so anderen Menschen Lebenszeit geschenkt werden konnte.



Der vorliegende Film möchte kein Werbefilm für mehr Organspendeausweise sein. Sie hätten einfach eine Bestandsaufnahme machen wollen, was sich in einem solchen konkreten Fall ereigne, erzählt Udo Kilimann. Möglich und realisierbar wurde das Projekt nur, weil sich Klinikärzte und das Filmteam kannten und ein großes gegenseitiges Vertrauen bestand. Wichtiger Ansprechpartner während der Dreharbeiten in Erfurt war Oberarzt Norbert Olbrecht. Kilimann: "Es war für uns ein Glücksgriff, dass gerade er Dienst hatte. Er pusht nicht, drängt nicht. Man merkt ihm die Nachdenklichkeit, die Ratlosigkeit und die Betroffenheit an."



Der Film schildert aber nicht nur die Zweifel und Fragen, sondern auch das weitere sachliche Vorgehen, nachdem die Entscheidung zur Organspende gefallen ist. Nun kommen die Spezialistenteams, um die Organe sachgerecht zu entnehmen, sie zu versorgen und richtig gekühlt und verpackt zum Empfänger zu bringen, der zeitgleich in einer anderen Klinik auf die Operation vorbereitet wird. Auch hier kommt es auf höchste Sorgfalt an, nicht nur in medizinischer Hinsicht. Ein besonderes Registrierungssystem sorgt dafür, dass mit entnommenen Organen kein Missbrauch getrieben werden kann. "Organ gebraucht" ist ein Einblick in einen für alle Beteiligten belastenden Ausnahmezustand.