Verfassungsklagen gegen Abkehr vom Atomausstieg

Letztes Wort noch nicht gesprochen

Im Streit über die Abkehr vom Atomausstieg hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe das letzte Wort. Sowohl fünf SPD-geführte Länder als auch Abgeordnete von SPD und Grünen klagen nun in Karlsruhe gegen den Beschluss der Regierung, die 17 deutschen Atommeiler bis zu 14 Jahre länger laufen zu lassen als bislang geplant.

 (DR)

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte den einst von Rot-Grün ausgehandelten Atomausstieg Ende 2010 gekippt, ohne den Bundesrat zu beteiligen. Damit gehen die ältesten Atomkraftwerke nicht in den nächsten Monaten vom Netz, sondern laufen rechnerisch noch acht Jahre. Jüngere Meiler sollen 14 Jahre zusätzliche Produktionszeit bekommen und werden wohl erst Ende der 30er Jahre abgeschaltet. Greenpeace hat wegen Sicherheitsbedenken bereits Verfassungsbeschwerde erhoben. Nun wird die Entscheidung von Schwarz-Gelb also von zwei weiteren Seiten angefochten.



Länder sehen sich ausgebootet

Die Länder argumentieren, sie hätten bei der Entscheidung über die Laufzeitverlängerung beteiligt werden müssen. Denn ihnen seien damit neue Aufgaben übertragen worden. Statt in absehbarer Zeit die Atomaufsicht zurückzufahren, müssten sie sich nun auch noch um die nötige Nachrüstung und neue Sicherheitsauflagen kümmern. Eine solche Aufgabenübertragung durch den Bund erfordere zwingend auch die Zustimmung des Bundesrats.



Neben den verfassungsrechtlichen Gründen gebe es aber auch politische Argumente gegen die Laufzeitverlängerung, sagte der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne). Längere Laufzeiten bedeuteten auch mehr Atommüll, mehr Atommülltransporte und mehr Proteste. Betroffen seien auch Bremer Verkehrswege. Zudem sei die Hansestadt von sechs Atomkraftwerken umgeben, die zum Teil wegen ihres hohen Alters nach dem Atomkonsens jetzt abgeschaltet werden sollten. Bremen setze auf den Ausbau erneuerbare Energien und befürchte, dass der Atomstrom dies behindere.



Inhaltliche Bedenken

SPD und Grüne im Bund begründen ihre eigene Normenkontrollklage ebenfalls damit, es sei verfassungswidrig, dass die Länder nicht beteiligt wurden. Darüber hinaus gebe es aber auch "materielle" - also inhaltliche - Verfassungsbedenken gegen die jüngsten Novellen des Atomgesetzes, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.



Tatsächlich bedeute die Verlängerung der Atomlaufzeiten um acht bis 14 Jahre "neue Gefahren für Mensch und Umwelt", sagte Grünen-Umweltexpertin Bärbel Höhn. Das Schutzniveau der Anlagen und die Klagemöglichkeiten der Bürger seien nicht, wie von der Regierung angegeben, erweitert worden, sondern verringert. Mit der Klage rechne man sich gute Chancen vor dem Bundesverfassungsgericht aus.



"Die Entscheidung, die getroffen wurde, wird aus unserer Sicht keinen Bestand haben", sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Für ihre Klage haben SPD und Grüne nach eigenen Angaben genügend Unterschriften in ihren Fraktionen gesammelt, um das nötige Quorum zu überspringen. Die Klageschrift werde in den nächsten Tagen eingereicht, kündigte die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) an. Die Klage der Länder ist nach deren Angaben bereits in Karlsruhe.



Ob Karlsruhe die inzwischen drei Klagen zusammen behandeln wird und wie lange eine Entscheidung dauern könnte, vermochten die Kläger nicht abzuschätzen. Wäre die Klage erfolgreich, müssten die älteren deutschen Kraftwerke nach Einschätzung der Kläger sofort abgeschaltet werden. Denn dann wäre die Neufassung des Atomgesetzes nichtig und die Fassung von 2002, als der Atomausstieg gesetzlich festgeschrieben wurde, würde wieder gelten.



Eindeutige Haltung der Kirchen

Die beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke war im vergangenen Jahr auch auf Kritik der beiden großen Kirchen gestoßen. Der Bischof von Eichstätt, Dr. Gregor Maria Hanke OSB, Mitglied der Kommission für Wissenschaft und Kultur der Deutschen Bischofskonferenz und der westfälische Präses Alfred Buß warfen der Bundesregierung Klientelpolitik zu Gunsten der Wirtschaft auf Kosten der Schöpfung vor. Alois Glück, Präsident des Zentralkomittees der deutschen Katholiken, warf der Regierung vor sich aus der Verantwortung gegenüber den nachkommenden Generationen zu ziehen.