Erdogan will Religionsfreiheit – nur nicht in der Türkei

Wunsch und Wirklichkeit

Es waren starke Worte Recep Erdogans: Jeder habe das Recht, seinen Glauben auszuleben, so der türkische Ministerpräsident an seine in Deutschland lebenden Landsleute. Der katholische Türkeiexperte Otmar Oehring wundert sich im Interview mit domradio.de. Deutsche Politiker zürnen dem Regierungschef für seinen Wahlkampfauftritt.

 (DR)

In der Türkei gebe es "überhaupt keine Religionsfreiheit", so der Menschenrechtsexperte Otmar Oehring vom katholischen Hilfswerk Missio am Montag (28.02.2011). Auch der Islam sei in der Türkei nicht anerkannt und habe "nicht die Freiheit, die er eigentlich haben müsste nach unserem Verständnis von Religionsfreiheit". Dies gelte auch für die nicht-muslimischen Minderheiten.



Dass die Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU nicht vorankommen, sei nicht die Schuld der EU. Die Türkei habe nach einer "ersten Reformeuphorie um 2004/2005 herum, nichts mehr getan hat im Hinblick auf demokratische Reformen".



Kritik der CSU

Auch zahlreiche Politiker kritisierten am Montag die Rede Erdogans vor Tausenden in Deutschland lebenden Türken am Sonntag in Düsseldorf.  Mit der Warnung des türkischen Ministerpräsidenten vor einer "Assimilation" von Türken in Deutschland, erweise CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe den Integrationsbemühungen in Deutschland einen Bärendienst. Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer forderte einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen. Bevor weitere Verhandlungskapitel eröffnet würden, müsse "eingehend geprüft sein, ob bei der Gewährung von Religionsfreiheit in der Türkei endlich nachprüfbare Fortschritte gemacht worden sind", sagte der CSU-Politiker.



Singhammer verwies auf den Fortschrittsbericht der EU-Kommission, der für 2010 erneut ein "negatives Bild zur Religionsfreiheit" zeichne. Demnach sei muslimischer Religionsunterricht in der Türkei weiterhin zwingend. Ferner sei die seit 1971 verbotene Priesterausbildung für die orthodoxe Kirche immer noch nicht möglich. Wer aber die freie theologische Ausbildung von Priestern nicht zulasse, "der trocknet die Zukunft christlichen Lebens aus", so Singhammer.



Einbestellung des Botschafters?

Die CSU forderte sogar die Einbestellung des türkischen Botschafters in Deutschland wegen der Rede. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte, Erdogan habe die Türkei als Schutzmacht sowohl für die in Libyen als auch für die in Deutschland lebenden Türken bezeichnet. Dieser Vergleich von Libyen und Deutschland sei unzulässig.



Erdogan hatte am Sonntag vor einer wachsenden Ausländerfeindlichkeit in Deutschland gewarnt. Eine solche Entwicklung werde in der Türkei "mit großer Beunruhigung" verfolgt, sagte er vor rund 10.000 Menschen in Düsseldorf. Deutsche Politiker sollten diese Feindlichkeit mit ihren Äußerungen "nicht weiter aufbauschen". Auch eine zunehmende negative Stimmung gegen den Islam kritisierte der türkische Premier. "Islamphobie ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, genauso wie Rassismus", erklärte Erdogan.



Experten sind sich einig, dass es Erdogan in Düsseldorf vor allem um Wahlkampf ging. Am 12. Juni wird in der Türkei gewählt, der türkische Ministerpräsident will bei diesen Wahlen unbedingt die 50-Prozent-Marke knacken. Deshalb sind ihm zusätzliche Stimmen aus Deutschland mehr als willkommen - und weitere Anhänger, die zu den Wahlen in die Türkei reisen, um auf den Flughäfen ihre Stimme für die islamisch-konservative AKP abgeben.