Caritas mahnt ordentliche Asylverfahren für Nordafrika-Migranten an

"Kein Flüchtlingsstrom von biblischem Ausmaß"

Die katholische Hilfsorganisation Caritas International kritisiert den Umgang mit den Migranten aus Nordafrika. Die italienische Regierung lasse "europäische Standards vermissen", sagte im Interview mit domradio.de Afrika-Referent Christoph Klitsch-Ott. Grundsätzliche müsse es der EU "möglich sein, diese Menschen menschenwürdig aufzunehmen".

 (DR)

domradio.de: Was ist dran, sollte das Gaddafi-Regime demnächst zusammenbrechen, wie kann Europa die Flüchtlingswelle aus Afrika bewältigen?

Klitsch-Ott: Es handelt sich nicht um eine Flüchtlingskatastrophe und wird es auch nicht. Es ist kein Flüchtlingsstrom von biblischem Ausmaß. Man muss sich darauf einstellen, dass einige tausend, vielleicht auch einige zehntausend Flüchtlinge kommen werden. Aber die EU wäre prinzipiell in der Lage, einen solchen Flüchtlingszustrom zu bewältigen.



domradio.de: Wenn Tunesien und Libyen den afrikanischen Flüchtlingsstrom nicht mehr aufhalten - ist Europa nicht überfordert?

Klitsch-Ott: Im Moment ist durch die Maßnahmen der EU aus den vergangenen Jahren - Stichwort Frontex - der Flüchtlingsstrom aus diesen Ländern, der Strom der Migranten, die aus dem subsaharischen Raum kommen, also nicht aus Tunesien und Libyen, im Prinzip gestoppt, bzw. umgelenkt Richtung Türkei bzw. türkisch-bulgarische Grenze. Das kann jetzt wieder aufleben, wird aber nicht dazu führen, wie das einige Politiker ja in die Diskussion werfen, dass da 1,5 Millionen Menschen innerhalb weniger Wochen über das Mittelmeer kommen würden. Das ist völlig überzogen und völlig unrealistisch. Wir müssen damit rechnen, dass sich sicherlich einige zehntausend Menschen in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen, auf Arbeit in der EU, auf den Weg machen. Und diese Menschen muss man in Empfang nehmen, man muss sie ordentlich in rechtstaatlichen Verfahren betreuen; man muss die örtlichen Flüchtlinge dann ins Asylverfahren aufnehmen und die, die auf der Suche nach Arbeit sind, dann entweder legalisieren oder im Zweifelsfall dann auch wieder zurückschicken. Wir stehen da nicht vor unlösbaren Aufgaben.



domradio.de: Wie geht es den Flüchtlingen, die bereits in Lampedusa angekommen sind?

Klitsch-Ott: Das ist die Kritik von uns und von vielen anderen Organisationen: dass die italienische Regierung hier wirklich jegliche europäischen Standards vermissen lässt, sowohl was die humanitäre Betreuung dieser Menschen angeht, wenn sie in Lampedusa an Land gekommen sind. Dann hat man außerdem die Frontex-Maßnahmen aufgerüstet mit neuen Schiffen und Flugzeugen, um die Leute schon auf See abzudrängen und nach Tunesien zurückzubringen. Was meines Erachtens allen internationalen Abkommen widerspricht. Einem EU-Land muss es möglich sein, diese Menschen menschenwürdig aufzunehmen und zu



domradio.de: Kann Europa es sich leisten, berechtigte Asylanfragen, die kommen werden, zu bejahen oder zerbricht es da an ihren eigenen Idealen?

Klitsch-Ott: Das ist natürlich ein weites Feld und nicht gebunden an die aktuelle Situation. Ganz sicher: Die meisten Menschen, die jetzt über das Mittelmeer kommen oder die jetzt an der türkisch-bulgarischen Grenze sind, sind keine Flüchtlinge im Sinne politischer Verfolgung oder Bürgerkriegsflüchtlinge. Es sind Migranten, die auf der Suche nach Arbeit nach Europa wollen. Das ist ein normales Phänomen, das es immer gegeben hat und immer geben wird. Zwischen 1850 und dem Ersten Weltkrieg sind fünf Millionen Deutsche ausgewandert, um ein besseres Leben in den USA zu suchen. Zu der Diskussion gehört auch, dass es in Europa einen Markt für diese Leute gibt. Die Italiener und Spanier haben etwa je eine Million Illegale in ihrem Land, die aber Arbeit dort haben, in der Landwirtschaft und in der Bauindustrie Und die Migranten wissen: Wenn sie es nach Italien schaffen, werden sie über kurz oder lang auch Arbeit finden. Das ist die Realität. Und das ist ein Bereich, den man sich anschauen und eigentlich in die Legalität holen muss, um diesen offenkundigen Bedarf auch zu steuern.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.