EU stoppt Gespräche mit Gaddafi

Es droht Fluchtwelle aus Libyen

Die EU hat die Verhandlungen mit Libyen über ein Abkommen zum Kampf gegen illegale Einwanderung und zu Handelserleichterungen ausgesetzt. Die EU hatte mit dem libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi seit 2008 über ein solches Abkommen beraten. Geplant war unter anderem, dass Libyen mit Unterstützung der EU seine Grenzen besser kontrolliert und den Flüchtlingsschutz stärkt.

 (DR)

Bereits im Herbst 2010 hatte die EU Gaddafi 50 Millionen Euro für den Kampf gegen illegale Migration und Schleuserbanden sowie für einen besseren Schutz für Flüchtlinge versprochen. Nach Angaben der EU-Kommission ist aber bisher kein Geld geflossen. Libyen ist ein wichtiges Durchgangsland für Migranten aus dem Sudan, dem Niger, dem Tschad, Eritrea, Somalia und anderen Ländern.



Gaddafi nutzt diesen Umstand als politisches Druckmittel gegenüber der EU. Er hat mehrfach gedroht, eine Welle von Migranten nach Europa durchzulassen. Die EU-Kommission entschied sich dennoch am Dienstagabend, die Gespräche abzubrechen. Sie reagierte damit auf die Gewalt gegen regimekritische Demonstranten in dem Wüstenstaat.



Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßte die Entscheidung der EU. "Die Einsicht, dass man mit dem Diktator Gaddafi keine schmutzigen Deals machen kann, kommt viel zu spät", sagte Europareferent Karl Kopp. Die EU und Italien hätten Gaddafi "im wahrsten Sinne des Wortes für die Flüchtlingsbekämpfung aufgerüstet". Die Organisation forderte die EU auf, sich von der Politik der Abwehr zu verabschieden. Dieselbe Forderung kam von Amnesty International.



Die 27 EU-Regierungen wollten am Nachmittag auch über Sanktionen gegen Libyen wie Einreiseverbote und Kontensperren beraten. Unterdessen flieht nach Angaben der Vereinten Nationen ein großer Strom von Menschen vor der anhaltenden Gewalt in Libyen nach Tunesien und Ägypten. "Die Menschen wollen nur raus aus Libyen, um ihr Leben zu retten", sagte die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Sybella Wilkes, dem epd in Genf. Die genaue Zahl der Flüchtlinge sei bislang nicht bekannt.



Staatschef Gaddafi versucht seit Tagen, mit Gewalt die Demonstrationen gegen seine Diktatur zu ersticken. Laut Augenzeugen setzt das Regime auch schwere Waffen gegen die eigene Bevölkerung ein. Menschenrechtsorganisationen gehen von Hunderten von Toten aus. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty Deutschland verlangte, Gaddafi wegen der Gewalt gegen Demonstranten vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen.



Chefankläger Luis Moreno-Ocampo teilte indes mit, der Internationale Strafgerichtshof werde vorerst keine Ermittlungen einleiten. "Die Entscheidung, für Gerechtigkeit zu sorgen, liegt beim libyschen Volk", erklärte Moreno-Ocampo am Mittwoch. Libyen ist kein Vertragspartner des Strafgerichtshofes. Der Ankläger kann erst dann eingreifen, wenn die libyschen Behörden die Statuten des Gerichtes akzeptieren. Sollte dies nicht geschehen, könnte der UN-Sicherheitsrat das Gericht mit Ermittlungen beauftragen. Der Strafgerichtshof kann nach seinen Statuten nur Verbrechen verfolgen, die nach 2002 begangen wurden.