Ärztekammer lockert Grundsätze zur Sterbehilfe

"Individuelle Moralvorstellungen"

Die Bundesärztekammer hat ihre Grundsätze für die Sterbehilfe etwas gelockert. Galt bisher die Beihilfe zur Selbsttötung von Todkranken für Mediziner als unethisch, gilt künftig lediglich, dass dies keine "ärztliche Aufgabe" sei. Das ist nicht nur eine leichte Lockerung, sondern ein Paradigmenwechsel, sagte Andreas Lob-Hüdepohl, Professor für Theologische Ethik im domradio.de-Interview.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Damit öffnet sich ein Hintertürchen für den Einzelfall, in denen in den Augen der Ärztekammer eine solche "Beihilfe zum Suizid" ethisch vertretbar sein könnte. "Wenn Ärzte mit sich selbst im Reinen sind, dann brechen wir nicht den Stab über sie", sagte Ärztepräsident Hoppe am Donnerstag in Berlin. Eine mögliche Liberalisierung beim Thema Sterbehilfe hatte bereits in den vergangenen Monaten für Diskussionen gesorgt.



Mit der geänderten Formulierung würden "die verschiedenen und differenzierten individuellen Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft anerkannt", sagte Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe. Er nannte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, derzufolge 30 Prozent der Ärzte bereit seien, grundsätzlich schwerstkranken Patienten Suizidbeihilfe zu leisten.



Orientierungshilfe für ärztliches Handeln

Geändert wurde die Formulierung in den "Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbegleitung". Dies ist eine Art Orientierungshilfe für ärztliches Handeln, hat aber keine rechtliche Bindekraft. Daneben gibt es das ärztliche Standesrecht, das für die Ärzte praktisch Gesetz ist. Darin bleibt die Hilfe zum Selbstmord vorerst verboten. Eine Überarbeitung ist aber ebenfalls in Arbeit und könnte auf dem Deutschen Ärztetag Ende Mai in Kiel beschlossen werden.--
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Es geht um Fälle, in denen Sterbenskranke ihre Ärzte bitten, ihnen einen raschen Tod zu ermöglichen oder dies nicht zu verhindern. Hoppe nannte als Beispiel einen Arzt, der nichts unternahm, als er entdeckte, dass seine todkranke Patientin große Mengen Schlafmittel genommen hatte. Gegen aktive Sterbehilfe habe man dagegen klar Stellung bezogen, betonte Hoppe. Dazu heißt es in den neuen "Grundsätzen": "Die Tötung des Patienten hingegen ist strafbar, auch wenn sie auf Verlangen des Patienten erfolgt." --


Hoppe plädiert für Liberalisierung

Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe schlug daraufhin eine Liberalisierung der Richtlinien zur Sterbebegleitung vor. Er plädierte für eine Formulierung, wonach ein Arzt Menschen beim Suizid helfen dürfe, wenn er das "mit seinem Gewissen vereinbaren könne". Zugleich sollte aber klar gestellt werden, dass dies "nicht zur Aufgabe des Arztes gehört". In den neuen Richtlinien findet sich jetzt nur der zweite Teil der Aussage - wobei aber nicht ausgeschlossen wird, dass ärztliche Suizidhilfe im Einzelfall durchaus als moralisch gerechtfertigt angesehen werden könnte.

Zugleich betonte der Ärztekammer-Präsident rund 95 Prozent der Fälle, in denen bei Patienten Suizidgedanken aufkämen, seien mit einer behandelbaren Krankheit wie Depression verbunden. "Zur Sorgfalts- und Garantenpflicht des Arztes gehört es, diese Krankheit zu erkennen und zu behandeln", so Hoppe. Viele Patienten ließen danach "ihren Todeswunsch fallen".



Medizinethiker Simon sieht keinen "Paradigmenwechsel"

Der Medizinethiker Alfred Simon sieht in den überarbeiteten Grundsätzen keinen "Paradigmenwechsel". Jeglicher Form der Tötung werde eine klare Absage erteilt, sagte er. Zugleich würden Ärzte nicht verpflichtet, unter allen Umständen Leben zu erhalten. Klargestellt werde zum Beispiel, dass künstliche Ernährung todkranker Patienten keine "Basisversorgung" sei, sondern eine Therapie, die auf Wunsch des Patienten auch unterlassen werden könne.



Scharfe Kritik an der Neufassung der Grundsätze der Bundesärztekammer äußerte die Deutsche Hospiz-Stiftung, eine Patientenschutzorganisation für Sterbende und Schwerstkranke. Der "ärztliche Ethos" sei abgeschafft worden, erklärte deren geschäftsführender Vorstand Eugen Brysch. Die neuen Leitlinien böten zudem keine allgemeingültigen Regeln. Die Formulierung, Sterbehilfe sei keine ärztliche Aufgabe, lasse jeden Mediziner mit sich selbst allein, wenn er vor der Gewissensentscheidung stehe, eine Selbsttötung zu unterstützen oder nicht.





Nötig war eine Überarbeitung der Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung geworden, weil der Bundestag im vergangenen Jahr Patientenverfügungen per Gesetz aufgewertet hatte.