Tunesische Flüchtlinge sorgen für Streit in Deutschland

Aufnahme oder Abwehr?

Angesichts des Flüchtlingsstroms von Tunesien auf die italienische Insel Lampedusa streiten sich Politiker hierzulande über die Konsequenzen für Deutschland. Während sich Grünen-Parteichef Cem Özdemir offen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Nordafrika zeigt, fordert der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, Strafen für EU-Staaten, die Flüchtlinge weiterreisen lassen. Die SPD fordert eine Quotenregelung für die Aufnahme anerkannter Flüchtlinge.

 (DR)

Özdemir sagte zu den zahlreichen Flüchtlingen aus Tunesien in Italien: "Der Norden darf den Süden dabei nicht alleine lassen." Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström und die EU-Innenminister müssten sich umgehend zusammensetzen und zu einer fairen Lastenverteilung kommen.



Frontex soll Flüchtlinge abwehren

Uhl sagte dagegen, die EU-Grenzschutzagentur Frontex brauche mehr Zuständigkeiten und mehr Personal, um Flüchtlingsströme wie im Mittelmeerraum abwehren zu können. Außerdem müsse die Flüchtlingspolitik in der EU besser abgestimmt werden. Zudem forderte er: "Wenn ein Mitgliedstaat alle Augen zudrückt und Flüchtlinge massenhaft in andere Länder weiterreisen lässt, muss es Sanktionen geben - konsequenterweise bis hin zum Ausschluss aus dem Schengen-Verbund." In jedem Fall müsse es möglich sein, dass die Grenzkontrollen gegenüber dem vertragsbrüchigen Schengenstaat wieder eingeführt werden. Die Schengenstaaten haben die Grenzkontrollen untereinander abgeschafft.



CSU-Präsidiumsmitglied Manfred Weber forderte eine "aktivere wirtschaftliche Kooperation" mit den arabischen Reformstaaten. Deren Bürgern müsse eine Perspektive gegeben werden, sagte der Vizechef der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament der Nachrichtenagentur dapd und fügte hinzu: "Die Masse der Menschen will sicher nicht freiwillig ihre Heimat verlassen." Die EU müsse nun auch durch finanzielle Unterstützung mithelfen, dass die Demokratiebewegungen wirklich erfolgreich seien. Die Bürger in Nordafrika müssten spüren, dass ihr Leben im neuen politischen System besser werde. Dann gebe es gute Chancen, dass die Zahl der Flüchtlinge sinke.



Mit Blick auf Italien sagte Weber, das Land sei zunächst selbst gefordert - und bei den derzeitigen Zahlen auch in der Lage, die Situation vorübergehend in den Griff zu bekommen. In der EU gebe es bereits einen Flüchtlingsfonds.



SPD fordert EU-Asylbehörde

SPD-Innenexperte Sebastian Edathy sagte: "Wir brauchen dringend eine europäische Quotenregelung, die anerkannte Flüchtlinge am Maßstab der Bevölkerungszahl und der bisherigen Flüchtlingsaufnahme auf die 27 EU-Länder verteilt." Edathy appellierte an die Bundesregierung, beim Treffen der EU-Innenminister in der nächsten Woche konkrete Hilfszusagen zu machen. "Angesichts dramatisch gesunkener Asylbewerberzahlen in Deutschland würde die Aufnahme eines Kontingents berechtigter Asylbewerber aus Afrika die Integrationskraft des Landes sicher nicht übersteigen", betonte Edathy. Er sprach sich zudem dafür aus, eine gemeinsame EU-Asylbehörde aufzubauen, die den besonders betroffenen Mittelmeerländern bei Asylverfahren hilft.



Der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Memet Kilic, warf der Bundesregierung vor, sie verweigere jede europäische Solidarität mit den Mittelmeeranrainern. Die Regierung dürfe die Menschenrechte nicht nur in Sonntagsreden hochhalten, sondern müsse den bedrängten Flüchtlingen auch praktisch helfen.



Die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Monika Lüke, mahnte die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass Italien seine Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention einhält. "Das bedeutet, dass Italien den Asylsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewähren muss", sagte Lüke.



Kirche ruft zu Solidarität mit Bootsflüchtlingen auf

Italiens Kirche ruft die Bürger angesichts des wachsenden Flüchtlingsstroms aus Nordafrika zu Aufnahmebereitschaft und Solidarität auf. Jeder müsse im Rahmen seiner Möglichkeiten bereit sein zu helfen, sagte der Vorsitzende der Caritas-Kommission der Bischofskonferenz, Bischof Giuseppe Merisi von Lodi, am Montag vor Journalisten in Rom. Zugleich wies er darauf hin, dass die Kirche in dieser Frage keine "praktischen Lösungen" anbieten könne; diese Aufgabe obliege den zivilen Behörden. Als Vorbild erinnerte Merisi an die kirchliche Fürsorge für Flüchtlinge in den 1980er und 90er Jahren.



Auch der Vatikan hat sich besorgt über die anschwellende Zahl von Flüchtlingen aus Nordafrika nach Italien geäußert. Der Migrantenstrom nehme die Ausmaße eines Notstands an und führe mitunter zu Tragödien, schreibt die Vatikanzeitung "Osservatore Romano" im Titelbeitrag ihrer Dienstagsausgabe. Das Blatt bezieht sich dabei auf das Kentern eines überbeladenen Flüchtlingsbootes, das laut arabischen Presseberichten gezielt von einem tunesischen Motorboot gerammt wurde. Bei dem Unglück kamen den Angaben zufolge 29 Menschen ums Leben.



Weiter greift der "Osservatore" die Verteidigung der Europäischen Union gegen Kritik der italienischen Regierung auf. Italiens Innenminister Roberto Maroni hatte der EU vorgeworfen, sein Land angesichts der Flüchtlingsströme im Stich gelassen zu haben. Dagegen hatte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton klargestellt, dass Italien Hilfsangebote der Gemeinschaft zunächst abgelehnt habe.