Bischof Gerhard Müller zieht eine Bilanz seiner Peru-Reise

"Nur beten ist nicht genug"

Fünf Tage war der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller in Peru. Dort hat er vor allem Projekte des katholischen Hilfswerks Misereor in den Armenvierteln besucht, aber auch Bischöfe, Politiker und Menschenrechtler wie den bekannten Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez getroffen. Ein Bilanz-Interview.

 (DR)

KNA: Bischof Müller, zu Hause gelten Sie bei vielen als "konservativer Hardliner". Hier erlebt man Sie als leidenschaftlichen Befreiungstheologen. Wie passt das zusammen?

Müller (lacht): Solche Schubladen braucht man doch nur für die Medien. Diese Frage stelle ich mir gar nicht. Wer die Not hier erlebt, muss einfach für die richtig verstandene Befreiungstheologie kämpfen.



KNA: Und wie ist die richtig zu verstehen? Dem Vatikan war sie ja lange ein Dorn im Auge...

Müller: ... aber nur, weil einige dabei auf marxistische und andere diesseitigen Heilsversprechen hereingefallen sind. Für mich ist Befreiungstheologie, wenn man sie in einem Satz charakterisieren will, vor allem der kompromisslose Einsatz gegen Armut und Unrecht aus unserem Glauben heraus. So wie es auch mein guter Freund Gustavo Gutierrez vorlebt.



KNA: Damit macht man sich aber nicht nur Freunde hier in Peru und in ganz Lateinamerika.

Müller: Das ist ja auch nicht unser erstes Ziel. Aber es stimmt schon. Gerade hier in Peru ist die Bischofskonferenz tief gespalten. Es gibt viele sehr engagierte Bischöfe, die das Elend der Menschen sehen und sich für sie einsetzen. Aber leider gibt es auch einige Verantwortliche, die sich einzig und allein um die Verkündigung des Glaubens kümmern, sich mit den Mächtigen gemein machen und jegliches soziales Engagement der Kirche rigoros ablehnen.



KNA: Was halten Sie davon?

Müller: Ich finde das schlimm. Beten ist wichtig, keine Frage. Aber nur beten ist nicht genug. Aus dogmatischer Sicht grenzt das fast schon an Häresie, wenn man sich in so eine fromme Selbstgenügsamkeit zurückzieht und dem Gebot der Nächstenliebe verweigert.



KNA: Stichwort Nächstenliebe: Sie haben vor allem Projekte des katholischen Hilfswerks Misereor besucht, das seine neue Fastenaktion zum Thema "Armut in den großen Städten" in Regensburg eröffnen wird. Was haben Sie erlebt?

Müller: Zum einen unfassbares Leid. Auch wenn ich schon oft in den Armenvierteln unterwegs war, ist es doch immer wieder schrecklich zu sehen, wie Kinder im giftigen Müll herumwühlen müssen, um sich das Essen für den nächsten Tag zu verdienen. Oder wie Familien mit 15 Personen in einer armseligen 20-Quadratmeter-Hütte hausen müssen - und das an einem erdbebengefährdeten Steilhang, bei dem unsereinem schon vom Hinsehen ganz mulmig wird. Aber zum Glück haben wir auch viele Hoffnungsschimmer erlebt in den Projekten von Misereor.



KNA: Zum Beispiel?

Müller: Etwa die Organisation CIDAP, die mit den Menschen gegen die wilden Müllkippen kämpft, die aber auch dafür sorgt, dass die zum Teil schon vom Müll vergifteten Kinder untersucht und behandelt werden. Außerdem hilft sie den Menschen, Mauern zu errichten, um die Steilhänge und Müllberge vor dem Abrutschen zu sichern. Sehr bewegt hat mich auch der Besuch in einem Haus für behinderte Kinder, die hier gut versorgt werden, während sie sonst fast gar keine Chance auf ein menschenwürdiges Leben hätten. Und so haben wir noch viele andere vorbildliche Projekte erlebt.



KNA: Aber ist das nicht nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein?

Müller: Sicher nicht! Vor allem, weil es hier nicht um Almosen geht, sondern darum, dass die Menschen lernen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und aus eigener Kraft ein menschenwürdigeres Leben zu erstreiten. Und das ist auch eine ganz konkrete Umsetzung der Theologie der Befreiung, die hier lebendig wird.



KNA: Welche Botschaft nehmen Sie mit nach Deutschland - in Ihren persönlichen Alltag und für die bevorstehende Misereor-Aktion?

Müller: Zuerst mal helfen solche Erlebnisse, die wirklich wichtigen Dinge im Blick zu behalten. Zum anderen will ich die Menschen aufrufen, sich noch entschiedener für den Kampf gegen Armut und Unrecht zu engagieren. Zum Glück passiert da schon eine Menge - auch bei uns in Regensburg - aber die Misereor-Fastenaktion ist auch eine Gelegenheit, nochmals an die Solidarität aller Christen in Deutschland zu appellieren.



KNA: Beim Blick auf Deutschland will ich Sie nicht gehen lassen, ohne auf die jüngsten Forderungen von mehr als 200 Theologen einzugehen. Sie wollen unter anderem den Pflichtzölibat für Priester abschaffen und eine Weihe von Frauen zulassen.

Müller: Haben wir keine anderen Probleme? Ganz im Ernst: Da ich zuvor schon einige Tage in Brasilien war, habe ich viel zu wenig von dem Thema mitbekommen, um dazu jetzt was zu sagen. Hinter die Erklärung des Zweiten Vatikanums zum Leben der Kirche, zum Priestertum und zum Zölibat gibt es kein Zurück, wie es eine falsch verstandene "Reform" will. Wenn Reform bedeutet, die Zukunft der Kirche ausschließlich in Strukturen zu suchen, so gibt die Erklärung Aufschluss über ihr mangelndes Kirchenverständnis.

Wenn die Gottesfrage nicht mehr im Mittelpunkt steht, wird jede falsche "Reform" ein Weg in den Untergang. Vielmehr sollten die Aufbrüche bei den jungen Menschen unterstützt werden, die sich die Frage nach Jesus Christus und einem Leben aus dem Glauben intensiv stellen. Die Bischöfe werden an dieser Stelle helfen und dafür Sorge tragen, dass die Kirche in Deutschland katholisch bleibt.



Das Gespräch führte Gottfried Bohl.