Ägypten-Experte sieht Bruderschaft in Demokratie angekommen

"An den Moslembrüdern führt kein Weg vorbei"

An der Moslem-Bruderschaft führt beim Umbruch in Ägypten kein Weg vorbei, schätzt der Politikwissenschaftler Dr. Thomas Demmelhuber. Im Interview mit domradio.de sagte er, die Vereinigung sei als "breitenwirksamste Oppositionskraft" im Land in der Demokratie angekommen.

 (DR)

domradio.de: Die Menschen auf dem Tahir-Platz wollen, dass Präsident Mubarak geht. Heute ist der 14. Tag der Proteste. Dass Mubarak sein Amt niederlegt, danach sieht es allerdings im Moment nicht aus. Wie erfolgsversprechend sind diese ersten Gespräche?

Demmelhuber: Das Mubarak-Regime scheint sich wieder zu konsolidieren. Das Regime ist aber zu Zugeständnissen bereit, man hat sich bereit erklärt, sich mit der Opposition an einen Tisch zu setzen. Dass die Moslem-Bruderschaft an diesen Gesprächen teilnehmen konnte, ist sicherlich im ägyptischen Kontext als revolutionär zu betrachten: dass die Bruderschaft als eigentlich verbotene Organisation, aber als dennoch breitenwirksamer Oppositionsakteur an den Gesprächen partizipieren darf, zeigt schon, dass das Regime zu Zugeständnissen bereit ist. Und es scheint sich auch herauszustellen, um welche Verhandlungsmasse es wirklich geht. Das Regime scheint den Ausnahmezustand aufzuheben, also das Kriegsrecht, das seit 30 Jahren in Ägypten herrscht. Man scheint auch bereit zu sein, eine umfassende Verfassungsreform anzustreben, um freiere Parlaments- und Präsidentschaftswahlen erreichen zu können.



domradio.de: Die Moslembrüder gelten als gemäßigte Fundamentalisten. Kritiker werfen ihnen vor, jetzt eine Weichspüler-Politik zu betreiben und ihr wahres Gesicht nicht zu zeigen. Sehen Sie darin ein reales Problem?

Demmelhuber: Man hat den Moslembrüdern bislang noch gar nicht die Chance gegeben, sich in der Praxis zu beteiligen. Die Bruderschaft ist sicherlich die breitenwirksamste Oppositionskraft in Ägypten, die auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Sie erkennt seit 20 bis 30 Jahren die Spielregeln der politischen Partizipation an und hat schon seit langem auch der Gewalt abgeschworen. Überspitzt gesagt, ist der Mainstream der ägyptischen Moslembruderschaft in der Demokratie angekommen, so dass kein Weg daran vorbeiführt, in dieser Übergangsphase die Bruderschaft in diesen politischen Prozess miteinzubeziehen.



domradio.de: Dann gibt es da auch noch den koptischen Milliardär Naguib Sawiris. Auch er hat an den Gesprächen teilgenommen und will die Zukunft des Landes mitgestalten. Er fordert eine Verfassungsänderung, die Freilassung der politischen Gefangenen, freie Wahlen und eine Reform des Mediengesetzes. All das also, wofür vor allem die jungen Ägypter stehen. Meinen Sie, all diese Punkte können durchgesetzt werden?

Demmelhuber: Bei der Sawiris-Familie handelt es sich um ein riesiges Unternehmensimperium, das es in den letzten Jahren geschafft hat, oligopolartige Stellungen aufzubauen. Aber sie haben es sehr früh geschafft, sich auf die Seite des Wandels zu stellen. Sie haben jetzt sicherlich auch ein genuines Interesse an einer sehr, sehr schnellen Stabilisierung, schon alleine aus betriebswirtschaftlichen Gründen.



domradio.de: Ägypten kämpft also um eine baldige Einigung und der Westen schaut dabei zu. Wie schätzen Sie die Rolle von Europa und den USA ein? Haben wir zu lange geschwiegen, vielleicht sogar Mubarak damit gestützt?

Demmelhuber: Es ist sicherlich ein Zick-Zack-Kurs gewesen in den vergangen Tagen. Zunächst versuchte man sich einfach auf die Seite der Demonstranten zu stellen, aber gleichzeitig den Partner Mubarak zu betonen. Man hatte einfach Angst, das Mubarak-Regime zu schnell fallen zu lassen, weil man nicht wusste: Was kommt danach? Was ist die politische Alternative? Wer füllt das potentielle politische Vakuum? Aber nun scheint sich langsam die aus Sicht der Politikwissenschaft richtige Devise durchzusetzen, dass es einfach nicht den Europäern oder Amerikanern obliegt zu entscheiden, wann Mubarak abzutreten hat, sondern dass alleine die Ägypter darüber entscheiden.



Das Gespräch führte Monika Weiß.