Autor Buch zur Rückkehr von Ex-Diktator Duvalier nach 25 Jahren

"Selbst für Haiti ein Extremfall"

Am Sonntag ist Haitis Ex-Diktator Jean-Claude Duvalier alias "Baby Doc" überraschend aus dem Exil zurückgekehrt, fast exakt 25 Jahre nach dem Ende der Duvalier-Diktatur. Der Berliner Publizist und Autor Hans Christoph Buch hat mehrere Bücher über Haiti veröffentlicht – und wirft einen Blick auf Vergangenheit und Zukunft des krisengeschüttelten Karibikstaates.

 (DR)

KNA: Herr Buch, blickt man auf die Geschichte Haitis, so scheint das Land bislang mehrheitlich von Despoten regiert worden zu sein.

Täuscht der Eindruck?

Buch: In Haiti gab es schon immer eine Sehnsucht nach starken Führern. Und das waren leider vielfach Menschen, die Terror und Schrecken über das Volk brachten.



KNA: Was sind die Gründe für diese traurige Tradition?

Buch: Schon die spanischen Eroberer brachten die Gewalt auf die Insel. Binnen kürzester Zeit rotteten sie die Ureinwohner, die Tainos, aus. Die nachfolgenden Piraten waren auch nicht gerade menschenfreundlich. Und unter französischer Kolonialherrschaft schließlich wurden Mensch und Natur gnadenlos ausgebeutet. Saint-Domingue, wie Haiti damals hieß, versorgte halb Europa mit Zucker und Kaffee. Das war nur möglich durch den Einsatz Hunderttausender Sklaven und die Abholzung ganzer Wälder.



KNA: Der Ende des 18. Jahrhunderts einsetzende Unabhängigkeitskampf machte die Sache nicht besser.

Buch: Einer der Gründerväter Haitis, Jean-Jacques Dessalines, umschrieb seine Strategie einmal wie folgt: "Köpfe abschneiden, Häuser anzünden." Diesen Ausspruch kennt auch heute noch in Haiti jedes Schulkind. Dazu passt, dass die meisten Regimewechsel bis auf den heutigen Tag von Plünderungen und Ausschreitungen begleitet wurden.



KNA: Welchen Platz nimmt der Duvalier-Clan unter all den monströsen Führungsgestalten der Vergangenheit ein?

Buch: Die Diktatur von Francois Duvalier und seinem Sohn Jean-Claude von 1957 bis 1986 war selbst für Haiti ein Extremfall. Bis zu 100.000 Menschen verloren in den knapp 30 Jahren unter "Papa Doc" und "Baby Doc" ihr Leben oder verschwanden auf Nimmerwiedersehen.

Zugleich kam es zu einem gewaltigen intellektuellen Aderlass. Ärzte, Oppositionelle, Professoren - wer konnte, wanderte aus.



KNA: Worauf basierte die Macht von "Papa Doc"?

Buch: Da waren zunächst die gefürchteten Schlägertrupps der sogenannten "Freiwilligen der nationalen Sicherheit", später bekannt unter dem Namen "Tontons Macoute", was sich etwa mit "Knecht Ruprecht" übersetzen lässt. Wer nicht spurte, wurde im besten Fall verprügelt, im schlimmsten Fall durch Folter und Mord vernichtet. Und zwar nicht nur der Betreffende selbst, sondern auch seine gesamte Familie. Getreu dem Motto von Dessalines trieb man die Opfer in ihre Häuser und zündete sie an. Zugleich jedoch konnte "Papa Doc" immer wieder die Massen für sich mobilisieren.



KNA: Ein Charismatiker also?

Buch: Im Gegenteil. "Papa Doc" war von kleiner Statur, stotterte und sprach schlecht Französisch. Stattdessen nutzte er den Voodoo-Kult als Herrschaftsbasis und inszenierte sich als Totengott "Baron Samedi" mit schwarzem Anzug, dunkler Brille und Zylinderhut. Zugleich behauptete er von sich, er sei ein "immaterielles Wesen" und damit praktisch unverwundbar. Mit solchen absurden Thesen konnte er die einfachen Leute immer wieder beeindrucken.



KNA: Außenpolitisch stand das Land schnell isoliert da.

Buch: Ja, wobei "Papa Doc" die USA nach der Kuba-Krise geschickt unter Druck setzte, indem er immer wieder mit einer Annäherung an den Kommunismus drohte. Das Verhältnis zum damaligen Präsidenten John F. Kennedy war nach den Kürzungen der US-amerikanischen Militärhilfe allerdings schnell zerrüttet. Francois Duvalier konnte sehr nachtragend, geradezu rachsüchtig sein. Es gab sogar Gerüchte, dass er an dem tödlichen Attentat auf Kennedy 1963 beteiligt gewesen sei.



KNA: Und setzte "Baby Doc" die Politik seines Vaters fort?

Buch: In gewisser Weise ja. Der Terror ging weiter, wenn auch in abgemilderter Form. Und auch Jean-Claude Duvalier versuchte, das einfache Volk für sich zu gewinnen - etwa indem er mit dem Motorrad durch die Armenviertel fuhr und wie bei einem grotesken Karnevalsumzug mit Geldscheinen um sich warf. Andererseits schaffte es "Baby Doc", ausländische Investoren ins Land zu holen. Am Flughafen der Hauptstadt Port-au-Prince entstand eine Freihandelszone, wo sich Unternehmen ansiedelten und damit auch neue Jobs entstanden. Im Nachhinein fällt das Urteil über sein Regime sicher milder aus als über die Herrschaft seines Vaters.



KNA: Was hat ihm dann das Genick gebrochen?

Buch: Zwei Skandale und eine Predigt. Baby Doc betrieb einen schwunghaften Handel mit Blutplasma und tiefgefrorenen Leichen. Letztere verkaufte er zu Forschungszwecken an Universitäten, vornehmlich nach Kanada. Als sich die Aids-Pandemie ausbreitete, wurden diese Vorgänge publik gemacht, weil die Blutspenden teils mit dem Virus verseucht waren. Hinzu kam, dass die Spender wie die Leichen meist aus den Armenvierteln stammten. Wie in einem schlechten Horrorfilm saugte das Regime also selbst die Ärmsten der Armen buchstäblich aus.



KNA: Und der zweite Skandal...

Buch: ... stand in Zusammenhang mit der angeblich von den USA erzwungenen Notschlachtung kranker Schweinebestände in Haiti, die die Lebensgrundlage vieler Familien bildeten. Damals ging ein Spruch durch das Land: "Man soll das Schwein in seinem eigenen Fett braten." Gemeint war damit der korpulente Diktator selbst, der seine Armee zur großangelegten Vernichtung der Tiere ausschwärmen ließ.



KNA: Fehlt noch die Predigt.

Buch: Die hielt Papst Johannes Paul II. während seines Haiti-Besuchs 1983. Die auf Kreolisch vorgetragene Kritik an den Zuständen "Fok sa change" ("Hier muss sich was ändern") griffen christliche Basisgemeinden auf und verbreiteten sie über die kirchlichen Sender Radio Soleil und Radio Lumiere in die letzten Winkel des Landes. Die Unruhe schwoll zu einem Orkan an, dem "Baby Doc" 1986 schließlich weichen musste.



KNA: Jetzt ist er überraschend in die Heimat zurückgekehrt. Wie bewerten Sie die Nachricht?

Buch: Die Umstände lassen darauf schließen, dass Regierung und Volk wohl gar nichts davon gewusst haben. Sonst hätte es sicher Demonstrationen oder gar Versuche gegeben, seine Einreise zu verhindern. Auch wenn er als Privatmann nach Haiti kommt, wird das die Situation nach dem unklaren Wahlausgang weiter erschweren.



KNA: Sie glauben aber nicht, dass "Baby Doc" politische Ambitionen hat?

Buch: Ich würde erst mal ausschließen, dass Duvalier für ein politisches Amt kandidiert - obwohl in Haiti nichts unmöglich ist.

Das wäre eine zu große Missachtung der Diktaturopfer und würde seine Gegner sicher mobilisieren. Auf jeden Fall aber ist es ein zusätzliches Element der Destabilisierung. Wenn jetzt möglicherweise auch noch Jean-Bertrand Aristide auf die Idee kommt, aus seinem Exil in Südafrika zurückzukehren, dann wären wirklich Hopfen und Malz verloren.



KNA: Die jüngsten Präsidentschaftswahlen haben zu einem Patt zwischen den Kandidaten geführt - ähnlich wie 1957, als "Papa Doc" an die Macht kam. Könnte sich die Geschichte mit anderen Protagonisten, aber demselben Ergebnis wiederholen?

Buch: Es wäre schon ein Erfolg, wenn es zu einem Konsens zwischen den Beteiligten käme. Aber dafür gibt es in der politischen Kultur Haitis keine Tradition. Hinzu kommt: Spätestens seit dem Erdbeben im vergangenen Jahr reden viel zu viele Akteure mit, angefangen von den UN über die Hilfsorganisationen bis hin zu den USA, der EU oder aufstrebenden Regionalmächten wie Brasilien. Alles sieht nach einer Fortsetzung der Tragödie aus. Der vielbeschworene Neubeginn ist nicht in Sicht.



Das Gespräch führte Joachim Heinz.



Buchhinweis: Hans Christoph Buch, "Haiti - Nachruf auf einen gescheiterten Staat", Wagenbach, Berlin 2010, 12,90 Euro.