Ethiker Mieth zur Debatte um die Präimplantationsdiagnostik

Wand mit Loch

Die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik wird auch im neuen Jahr geführt. Die Position der katholischen Kirche ist eindeutig: Ein Verbot der PID ohne Ausnahmen soll durchgesetzt werden. In einem Gastbeitrag begründet Dietmar Mieth, emeritierter Professor für Moraltheologie und Ethik an der Universität Tübingen, diese Haltung.

 (DR)

Wenn man einen Gesetzentwurf sieht, der eine Wand aufbaut, aber ein Loch darin lässt, ist das Loch wichtiger als die Wand. Daran erinnert mich ein parlamentarischer Entwurf zum Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) mit Ausnahmeregelung im Bundestag.



Nimmt die parlamentarische Verantwortung genügend wahr, dass bei einer PID-Behandlung zwei Drittel der Paare ohne Kind nach Hause gehen? Der vor dem Bundesgerichtshof (BGH) verhandelte Fall hatte dieses Ergebnis: Eines von drei Paaren bekam ein Kind. Wie groß sind die Leiden an den In-vitro-Fertilisation-Verfahren überhaupt, wie groß die Leiden derer, die das Ergebnis nicht erzielen? Schreiben die Medien darüber, wird es im TV erwähnt, gar beschrieben, steht es in den Begründungen? Soll wiederum Verantwortung ganz ins Individuelle verschoben werden, oder ist etwa "Wunschkind-Behandlung" doch ein Unwort, weil Eltern mehr versprochen wird als zu halten ist?



Wer pränatale Diagnostik (PND) zulässt, so heißt es in manchen Begründungen für Ausnahmeregelungen, kann PID nicht total ablehnen. Aber: erstens, PND ist nicht geplante Selektion, wenn auch Selektion ex post nicht rechtlich verhindert wird. PID ist ex ante geplante Selektion. Zweitens heißt es, wer A, nicht rechtswidriger Schwangerschaftsabbruch, sagt, müsse auch B, PID, sagen. Das ist keine zwingende moralische Argumentation. Denn die Argumentation:

wenn schon A eine nicht ganz einwandfreie Hürde gegen Selektion sei, dann solle man wenigstens nicht auch noch B akzeptieren, ist hier entschieden moralisch plausibler. Es sei denn, man wolle nicht wirklich eine Abdichtung gegen Selektion, wo diese möglich ist.



Immer wieder wird mit dem verschwenderischen Umgang der Natur mit Embryonen-Leben argumentiert. Aber die Natur trägt keine Verantwortung. Vulkane und Tsunamis, die Menschenleben blind vernichten, sind kein Argument gegen den Lebensschutz. Das sieht natürlich jeder ein. Wem dieser Vergleich als zu dick aufgetragen erscheint, der sollte überlegen, ob die "Natur" sein Argument ist, oder nicht vielmehr sein Votum für die Zurücknahme des menschlichen Lebensschutzes von Anfang an.



Immer wieder muss bedacht werden: Ist eine Entscheidung gegen die Ermöglichung der Fortsetzung von individuellem menschlichem Leben eine individuelle Entscheidung? Überschreitet sie nicht offensichtlich das Selbstbestimmungsrecht, weil es nicht nur um die eigene Lebensführung geht? Ist nicht die parlamentarische Verantwortung genau an dieser Nahtstelle des Überganges gefordert?



Auch ein theologisches Argument scheint mir nicht moralfähig: Menschenwürde sei nicht durch das bloße Menschsein gegeben, sondern erst mit der Erlösung durch Jesus Christus. Damit wird ein theologischer Maximalismus, der Menschenwürde und christlich vollendete Heilswürde nicht unterscheidet, zum ethischen Minimalismus.