Autorin Karen Duve ruft zu Verzicht auf Produkte aus Massentierhaltung auf

"Irgendwo muss Scham beginnnen"

Alles Jahre wieder werden die Verbraucher durch einen neuen Lebensmittelskandal aufgeschreckt. In diesen Tagen verderben die Dioxinmeldungen den Appetit auf Eier und Geflügel. Doch meist kehren die Menschen schnell zu ihren alten Essgewohnheiten zurück. Ein Fehler, meint Besteller-Autorin Karen Duve im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Frau Duve, Sie haben für Ihr neues Buch, Massentierhaltungen besucht, was haben Sie erlebt?

Duve: Was da passiert ist so grausig, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es darüber einen allgemeinen gesellschaftlichen Konsens geben könnte. Tiere, die schlecht betäubt sind und wieder aufwachen und dann bei Bewusstsein in Teil zerlegt werden, wo die Beine abgesägt werden, da läuft es einem kalt den Rücken herunter.



domradio.de: Massentierhaltung ist also gesellschaftlich geduldete Tierquälerei. Ein Skandal, den wir verdrängen. Wie erklären Sie sich das?

Duve: Über 90% der Menschen sind gegen Massentierhaltung, aber Menschen mögen keine Lösungsmöglichkeiten, die Verzicht beinhalten. Da soll dann die Politik eingreifen, aber wenn man selber in die Pflicht genommen wird, das möchte der Mensch nicht so gerne.



domradio.de: Muss man Veganer werden?

Duve: Nein, es geht ja nicht darum, dass jeder der veganste Veganer wird. Dass man es nicht 100% hinbekommt, braucht einen ja nicht davon abzuhalten, es wenigstens zu versuchen, es ein wenig besser zu machen. Das kann man auch jedem zumuten. Wenn man die allerschlimmsten Dinge vermeidet und sagt, ich esse wenigstens kein Fleisch aus Massentierhaltung mehr, da ist die Grenze, irgendwo muss Scham beginnen, dann ist das ja schon mal ein Schritt. Und dann macht man es schon deutlich besser als vorher.



domradio.de: Sie haben verzichtet, hat Ihnen das die gute Laune genommen?

Duve: Ich empfinde es schon manchmal als Verzicht, aber je länger ich dabei bin, umso besser gefällt es mir und ich werde auch zunehmend strenger. Weil es mir auch etwas bringt. Ich bin etwas mehr im Reinen mit meiner Überzeugung.



domradio.de: Glauben Sie, dass die Menschen ihr Kaufverhalten so ändern werden, dass sich das auf die Tierhaltung auswirkt?

Duve: Wir haben gerade einen Punkt erreicht, in der das Thema in der Luft liegt. Die Zeit dafür ist gekommen. Die Bereitschaft ist größer geworden. Das Problem sind die Veterinärämter, die passen nicht auf. Dass da mal jemand gegen das Grauenhafte protestiert, ist die Ausnahme. Der Zustand der Tiere ist ja nicht zu übersehen. Das sind keine Ausnahmen. Die Veterinäre nehmen das alles so hin und winken das durch.



domradio.de: Das muss dem Verbraucher aber auch bewusst sein, warum kauft er trotzdem ein Händel für 2,50 Euro?

Duve: Wir machen gerne Einkäufe wie in Trance, wir schalten das Bewusstsein nicht ein. Wenn ich einkaufe, denke ich nicht daran, dass es hier um Leben und Tod geht und mein Einkauf Konsequenzen hat und nicht unsere intime Privtsache ist. Und wer da meckert, ist dann schnell eine Nervensäge, die Grenzen überschreitet.

Interview: Johannes Schröer



Buchhinweis: Karen Duve - Anständig Essen / Ein Selbstversuch - Galiani  Berlin - 340 Seiten - 19 Euro 95