Jahresbilanz Erzbischof Zollitsch

"Nach vorne schauen"

Die deutschen katholischen Bischöfe wollen sich 2011 mit einer Bitte um Vergebung an die Opfer sexuellen Missbrauchs wenden. "Wir bitten um Entschuldigung und wir bekennen unsere Schuld", kündigt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, an.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, für die katholische Kirche endet ein dramatisches Jahr 2010. Haben die bekanntgewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester und Kirchenmitarbeiter das Vertrauen in die Kirche nachhaltig erschüttert?

Zollitsch: Wir haben gespürt, dass Menschen von der Kirche enttäuscht sind und sich abgewandt haben. Mit allen Kräften arbeiten wir jetzt daran, das verlorene Vertrauen zurück zu gewinnen. Unser zügiges Handeln war die richtige Strategie: als wir einen Beauftragten für Missbrauchsfragen berufen und eine Telefonhotline eingerichtet haben. Diese Sofortmaßnahmen wurden allgemein anerkannt.



KNA: Wie ist die Kirche mit den Missbrauchsfällen umgegangen? Haben die Bischöfe die Hausaufgaben in Sachen Aufklärung und Aufarbeitung gemacht?

Zollitsch: Ich bin davon überzeugt, dass wir uns dieser enormen Herausforderung gut gestellt haben. Das eine war die Aufklärung und Aufarbeitung der Fälle, die meist Jahrzehnte zurücklagen. Das andere ist, nach vorne zu schauen, um dafür zu sorgen, dass es künftig möglichst nie mehr zu Missbrauch kommt. Deswegen hat die Bischofskonferenz klare Leitlinien und Präventionspläne beschlossen. Hier ist die katholische Kirche deutlich weiter als viele andere gesellschaftliche Gruppen.



KNA: Opfer betonen immer wieder, wie wichtig die Anerkennung ihres Leides ist. Wird es noch eine zentrale Vergebungsbitte der katholischen Kirche in Deutschland geben?

Zollitsch: Am vergangenen Karfreitag haben wir eine elfte große Fürbitte in die Liturgie eingefügt. Bei der nächsten Frühjahrsvollversammlung wollen wir in Paderborn noch einmal die Bitte um Vergebung und den Neuanfang in einer angemessenen und würdevollen Form vor Gott tragen. Wir bitten um Entschuldigung und wir bekennen unsere Schuld.



KNA: Sie haben - auch in Reaktion auf die Missbrauchskrise - vor einigen Wochen einen breit angelegten Dialogprozess vorgeschlagen. In Kirchengemeinden, Bistümern und auf Ebene der Bischofskonferenz soll es eine kritische Bestandsaufnahme des kirchlichen Lebens geben und wichtige Zukunftsthemen sowie mögliche Reformfelder erarbeitet werden. Welche Ziele verfolgt diese Initiative?

Zollitsch: Wir haben in den vergangenen Monaten gespürt: Es ist einiges hochgekommen an Fragen und - ehrlich gesagt - auch an Kritik am kirchlichen Leben in Deutschland. Meine Schlussfolgerung ist: Wir müssen neu aufeinander zugehen und gemeinsam auf das hören, was Gott uns zu sagen hat. Ich hoffe, dass durch die Dialoginitiative die Kirche als geistliche Weggemeinschaft wieder deutlicher erfahrbar wird. Deshalb wird dieser Dialogprozess stark geprägt sein sowohl durch das Bemühen um Glaubensvertiefung und das Gebet als auch eine engagierte Indienstnahme durch die Fragen der Gegenwart.



KNA: Welche konkreten Schritte planen Sie?

Zollitsch: Wir haben in der Bischofskonferenz begonnen, uns Rechenschaft zu geben über den Weg der Kirche in der Welt von heute. Gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken haben wir uns zwei Projekte vorgenommen. Wir sind dabei, Arbeitsgruppen für Detailfragen einzurichten. Auch beim nächsten Treffen der Bischöfe im Frühjahr wird es um die konkrete Ausgestaltung des Dialogprozesses gehen. Wir brauchen etwas Zeit, um überzeugt zu handeln und viele einbeziehen zu können - zum Beispiel auch die Orden und geistlichen Gemeinschaften.



KNA: Um welche Fragen wird es gehen?

Zollitsch: Grundsätzlich will ich bemerken, dass ein Dialog nicht eine Art Dauergespräch in einer riesigen Versammlungsrunde ist. Im Mittelpunkt stehen Begegnungen, gemeinsame Erfahrungen, Projekte und vor allem die Ausrichtung auf den Willen des Herrn. Im Blick auf das Zentralkomitee ist klar: Erstens: Wie ist das Verhältnis von Priestern und Laien? Da schließen sich viele Fragen an. Zweitens: Welche Aufgaben kommen der Kirche in einer sich immer rascher verändernden Gesellschaft zu? Für welche Werte wollen und müssen wir öffentlich eintreten? Und schließlich drittens, das wird ein Schwerpunkt im Erzbistum Freiburg sein: Wie können wir den Glauben an die junge Generation heute weitergeben? Natürlich dürfen strittige Fragen gestellt werden. Ich will aber jeder Erwartung entgegentreten, wir würden in allen sperrigen Themen den Knoten durchschlagen und wie in der Politik zu einvernehmlichen Lösungen kommen.



KNA: Hat der Papst mit seinen Äußerungen zu Kondomen in seinem neuen Interviewbuch nicht auch die Erwartung geweckt, dass sich bei Konfliktthemen auch im Vatikan etwas bewegen könnte?

Zollitsch: Ich bin überzeugt, dass unsere Suche nach neuen Wegen im Sinne Jesu ergebnis- und überraschungsoffen ist. Ich finde, Gott wird uns auch einiges neu zeigen. So dass wir am Ende vielleicht auch einige bisherige Wertungen neu gewichten und uns für neue Ideen öffnen werden. Für uns ist entscheidend: Die Kirche ist für den Menschen da, sie will in Treue zu Gottes Wegweisungen dem Menschen neue Wege zu Gott erschließen.



KNA: Ein Höhepunkt des Jahres 2011 wird der Papstbesuch sein. Was erhoffen Sie sich von Benedikt XVI.?

Zollitsch: Ich freue mich sehr, dass Benedikt XVI. Ende September nach Berlin, Erfurt und Freiburg kommt. Es soll ein Fest des Glaubens und der Freude werden. Und ich bin gespannt, was der Papst uns zu sagen haben wird, um uns Christen in Deutschland auf dem Weg in die Zukunft zu bestärken.



KNA: Kann der Papst die unterschiedlichen Lager der katholischen Kirche in Deutschland miteinander ins Gespräch bringen?

Zollitsch: Der Papst ist sicher eine Integrationsfigur, der Menschen zusammen bringen kann. Es liegt ihm nicht daran, zu polarisieren.



KNA: Welche Stationen sind ihm Besuchsprogramm vorgesehen?

Zollitsch: Das genaue Programm wird in den kommenden Monaten vorbereitet und dann vom Vatikan veröffentlicht. Ich möchte hier nicht vorgreifen.



KNA: Die evangelische Kirche hat mit den intensiven Planungen zu ihren 500-Jahr-Feiern der Reformation begonnen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den 500. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers?

Zollitsch: Es ist nicht leicht, hier eine gemeinsame Sprache zu finden. Denn wir leiden ja - darin sind sich katholische und evangelische Christen einig - bis heute unter der Kirchentrennung. Gleichzeitig wissen wir, dass Luther keine Spaltung im Sinn hatte. Geschichtlich muss man sehen, dass die Trennung zu Konflikten geführt hat. Wir wollen nun schauen, wie wir von katholischer Seite den Weg zu diesem Gedenktag mitgehen können. Es ist ja eine Angelegenheit der gesamten Christentumsgeschichte. Das sehen unsere evangelischen Freunde genauso.



Das Gespräch führte Volker Hasenauer .