Bischöfe verurteilen Gewalt in Nigeria

Religionsfreiheit erneut mit den Füßen getreten

Nach mehreren Bombenanschlägen in der nigerianischen Stadt Jos an Heiligabend ist die Zahl der Toten auf 86 gestiegen. Vor allem für die christliche Gemeinschaft sind die Anschläge ein Schock. Die Katholische Kirche in Deutschland verurteilte die Gewalt. Toni Görtz vom katholischen Hilfswerk missio im Interview mit domradio.de über den Hintergrund des Terrors.

 (DR)

Der Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, zeigte sich in einem Brief an seinen Amtsbruder im nigerianischen Jos tief erschüttert über die erneute Welle der Gewalt. "Die Botschaft von Weihnachten ist eine Friedensbotschaft. Wie weit ist Ihr Land an diesen Weihnachtstagen davon entfernt?", so Zollitsch in dem Schreiben an Erzbischof Ignatius Kaigama. Jedes Mal frage er sich beim Anblick der Bilder, "wie dieser blinde Fanatismus und diese ausufernde Gewaltbereitschaft möglich sein können".



Zollitsch erinnerte an seinen Besuch in Jos vor einem Jahr und die zahlreichen Begegnungen mit gläubigen Muslimen: "Gemeinsam haben wir Totenwache beim verstorbenen Imam von Jos gehalten. Die muslimischen Führer haben uns ihre uneingeschränkte Bereitschaft zum Frieden versichert." Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit werde mit den jüngsten Gewaltausbrüchen erneut mit Füßen getreten, so der Erzbischof weiter. Gegenseitiger Respekt müsse allen gelten, welcher Religion sie auch angehörten. Zollitsch zitiert ein Wort des Papstes aus seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2011 und bezeichnet es als Programm. Benedikt XVI. bekennt sich darin zum interreligiösen Dialog als einem wichtigen Werkzeug für das Gemeinwohl: Die Kirche lehne "nichts von alledem ab, was in den verschiedenen Religionen wahr und heilig ist".



Inzwischen 37 Tote

In der Hauptstadt des Bundesstaates Plateau waren am Freitag insgesamt sieben Sprengsätze explodiert, vorwiegend in christlichen Gegenden. Daher vermuten die Ermittler muslimische Extremisten hinter den Anschlägen. Auch in Maiduguri, einer Stadt im muslimisch geprägten Norden des Landes, sollen mehrere Christen während des Weihnachtsgottesdienstes ermordet worden sein. Ein Vertreter der Regierung erklärte am Dienstag, mindestens 86 Menschen seien getötet worden. Zuvor war von über 30 Todesopfern die Rede gewesen.



Bekannt hat sich noch niemand zu den Angriffen in Jos. Bezweifelt wird indes, dass die islamistische Sekte Boko Haram ("Bücher sind Sünde") für den Bombenterror verantwortlich ist. Seit mehreren Jahren sorgt sie vor allem im Nordosten Nigerias immer wieder mit terroristischen Übergriffen für Angst und Schrecken. "Aber es passt einfach nicht zu Boko Haram, auf einem belebten Marktplatz Bomben zu zünden", sagte Polizeisprecher Abdulrahman Akano bei einer Pressekonferenz. Er sieht die Anschläge offenbar vor allem politisch motiviert; sie hätten wenig mit religiösen und ethnischen Konflikten in der Region zu tun, zitiert ihn die Tageszeitung "Vanguard".



Auch für Armeegeneral Azubuike Ihejirika ist die Handschrift einer Terrororganisation unverkennbar. In Jos habe es zwar über die Jahrzehnte immer wieder blutige Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen gegeben. Erst im Januar und März kamen mehrere hundert Menschen ums Leben. "Doch nun ist eine neue Dimension erreicht: Das ist eindeutig Terrorismus", so der General.



Vor allem für die christliche Gemeinschaft sind die Anschläge ein Schock. "Die Menschen waren in Feierstimmung und haben sich sehr auf Weihnachten gefreut", sagt Samuel Goro, Direktor des Instituts für Friedensförderung. "Als bekannt wurde, dass in den Stadtteilen Anguwan Rukuba und Gada Biyu Menschen ums Leben gekommen sind, haben sich viele nicht mehr vor die Tür und somit in die Kirchen getraut." Daher sei für viele Christen das Weihnachtsfest ausgefallen. Einige Gemeinden hätten ihrerseits die Weihnachtsgottesdienste abgesagt, um die Gläubigen zu schützen.



100 Jahre alter Konflikt

Sowohl der Gouverneur von Jos, Jonah Jang, als auch Staatspräsident Goodluck Jonathan verurteilten die Anschläge scharf. "Wir müssen die Drahtzieher finden und sie verurteilen", so Jonathan. Doch genau das täten die Zentralregierung und die höchsten Regierungsvertreter von Plateau State nur sehr halbherzig, kritisierten nichtstaatliche Organisationen in der Vergangenheit immer wieder. Nach ihrer Auffassung hatte die Regierung nie ernsthaft Interesse, den eigentlichen Konflikt zu lösen. Lösungsvorschläge, etwa verschiedene Projekte zur Friedensförderung und Deeskalation, wanderten häufig sofort in die Schublade.



Jos ist eine Schnittstelle zwischen dem muslimisch geprägten Norden und dem christlich geprägten Süden. Die Stadt selbst wurde bis vor 100 Jahren überwiegend von Christen bewohnt. Mit der kommerziellen Zinnförderung seit Beginn des 20. Jahrhunderts ließen sich dann viele Muslime als Arbeiter in und um Jos nieder. Seit Schließung der Kupferminen in den 1960er Jahren kam es immer häufiger zu Kämpfen um die knapper werdenden Ressourcen. Zentral für den Konflikt im sogenannten "Middle Belt" ist außerdem die Frage, ob das Land den einheimischen Christen oder den muslimischen Siedlern gehöre.  Religiöse Motive stehen dabei freilich hinter wirtschaftlichen an.